Objektive – Schluss mit dem Schwanzvergleich!
Die Zeit, in der Fotografen mit wuchtigen DSLR-Bodys nicht unter einem Kilo unterwegs waren, allein um klarzustellen, dass sie nicht zum Spaß da waren, sind glücklicherweise vorbei. Für überzeugende Bildergebnisse genügen längst auch kleinere und leichtere Kameras. Aber mit dem langen Rohr am kompakten Body stolziert man immer noch gerne, um Eindruck zu schinden. Vielleicht ist es damit bald vorbei, denn die Kameras der Zukunft kommen vielleicht ganz ohne Objektive, wie wir sie kennen, aus.
Der Fotograf Klaus Bossemeyer erzählte mir mal, wie er auf skeptische Reaktionen seiner Kunden auf sein Micro-FourThirds-Equipment reagiert (sinngemäß): „Wollen wir jetzt über Kameratechnik diskutieren oder Ihr Problem lösen?“ Qualitativ sind APS-C und Micro-FourThirds längst das neue Kleinbild, während das digitale Mittelformat den analogen Großformatkameras den Rang abgelaufen hat. Kleinere Sensoren machen auch proportional kleinere Objektive möglich, nur am Prinzip ändert das nichts: Je stärker die Vergrößerung und je höher die Lichtstärke, desto größer und schwerer müssen die Objektive sein.
Smartphones haben die Welt der Fotografie erobert und große Teile des Kameramarktes praktisch vernichtet, aber im optischen Bereich liegt nach wie vor ihre Schwäche. Wurden Kameraobjektive früher gerne als „Adleraugen“ apostrophiert, haben die Kameramodule der Handys eher die Knopfaugen eines Mäuschens. Lichtstarke Zooms könnten die Fotografie mit dem Smartphone einen großen Schritt voran bringen, bloß würde ein so ausgestattetes Handy kaum noch in die Tasche passen. Das gilt als naturgesetzlich gegebene Tatsache, aber genau genommen gelten die etablierten Regeln nur, so lange man Objektive aus Linsen konstruiert. Herkömmliche Objektive basieren darauf, dass Licht durch Glaslinsen gebrochen wird, die scharfe zweidimensionale Bilder erzeugen. Einfache Linsen produzieren Abbildungsfehler wie die sphärische, die chromatische Aberration, die sich durch die Kombination mehrerer Linsen korrigieren lassen – aber natürlich brauchen solche Objektive auch mehr Platz und sind schwerer.
In letzter Zeit erscheinen immer mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen zu Kameras, die ohne klassisches Objektiv auskommen. In den USA arbeiten Rambus und Caltech an solchen Konzepten, in Japan unter anderem Hitachi. Pfannkuchenflacher Ersatz für Linsen ist nicht neu; lange bekannt sind beispielsweise die Fresnelschen Zonenplatten, die übrigens nichts mit Fresnel-Linsen zu tun haben, obwohl sie derselbe Augustin Jean Fresnel vor rund 200 Jahren erfunden hat. Zonenplatten sind Glasplatten mit konzentrischen Ringen variierender Dicke, die das Licht per Beugung statt Brechung in einem Brennpunkt bündeln. Wenn Sie mit einer Zonenplatte experimentieren wollen, finden Sie unter anderem im Sortiment von LensBaby solche Optiken.
Andere Ansätze greifen auf die Eigenschaften photonischer Kristalle zurück – Nanostrukturen, die die Ausbreitung des Lichts in vielfacher Weise verändern können. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Antennen, die früher für den Fernsehempfang nötig waren. Diese einst auf allen Dächern omnipräsenten Antennen waren nach dem Yagi-Prinzip aufgebaut und bestanden aus metallischen Stäben, die als Direktoren und Reflektoren die Funkwellen leiteten und bündelten, um einen optimalen Empfang zu gewährleisten. Die Größe solcher Elemente hängt von der Wellenlänge der elektromagnetischen Wellen ab, und wenn es um die in Nanometern zu messenden Wellenlängen des sichtbaren Lichts geht, kann man diese Wellen mit nanotechnologischen Mitteln steuern. Solche extrem miniaturisierten optischen Elemente lassen sich – ähnlich wie klassische Halbleiterchips – mit lithographischen Techniken herstellen; sie sind völlig flach, haben aber ähnliche Eigenschaften wie Linsen.
Natürlich ist es nicht ganz so einfach, die trotz Gewicht und Größe bewährten Linsenkonstruktionen durch flache Objektive zu ersetzen. Die Schärfe der so erzeugten Bilder erreicht noch nicht den gewohnten Stand; außerdem sind solche Objektive – insbesondere diejenigen, die auf nanotechnologischen Antennen basieren – meist stark wellenlängenabhängig und kaum geeignet, im gesamten sichtbaren Spektrum scharfe Bilder zu erzeugen. Auch fehlt es bislang an flachen Zooms. Das Interesse der Forschung an solchen Technologien scheint aber so stark zu sein, dass für alle üblichen fotografischen Aufgaben geeignete flache Objektive nur eine Frage der Zeit zu sein scheinen. Das ist eine gute Nachricht für alle, die eine unauffällige Kameraausrüstung bevorzugen, die sich ohne aufzutragen in die Tasche stecken lässt. Zum Angeben werden die Kameras der Zukunft allerdings kaum taugen.
Die beugungsbegrenzte Auflösung bleibt das Problem der Kameras mit kleiner Öffnung (Durchmesser in mm, nicht Blendenzahl). Abhilfe kann ich da nicht erkennen.