Pompeii: Ein gewichtiger Geschenk-Tipp
Weihnachten naht. Suchen Sie ein Geschenk für kunstinteressierte Bildbearbeiter/innen in der Preislage irgendwo zwischen Taschenbuch und Gold, Weihrauch und Myrrhe, dann empfiehlt Ihnen Doc Baumann diese großformatige Neuerscheinung: Der Nachdruck eines Farblithographie-Bandes über die Ausgrabungen von Pompeji aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Mit Bildbearbeitung hat dieser Prachtband zugegebenermaßen wenig zu tun. Jedenfalls nach aktuellen Maßstäben. Für die damalige Zeit sah das allerdings ganz anders aus, denn damals war die Farblithographie gerade erst im Entstehen, und so war es in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein mutiges Unterfangen, einen dicken Bildband mit mehr als 400 großformatigen Farbbildern in Angriff zu nehmen.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten, um ein Bild entstehen zu lassen, am Monitor die vier Farbkanäle von CMYK gesondert und unabhängig voneinander bearbeiten, wobei Sie die jeweils anderen Kanäle nicht einmal sehen könnten – und das auch noch seitenverkehrt. So ähnlich war das damals, als die Druckvorlagen von „Pompeii“ von den italienischen Brüdern Niccolini auf geschliffene Kalksteinplatten gezeichnet werden mussten.
Der umfangreiche (648 Seiten) und große (knapp 29 x 40 cm) Band, der gerade beim Kölner Taschen Verlag erschienen ist, reproduziert das komplette Werk in der gewohnten hohen Qualität zum Preis von 150 Euro.
Fausto und Felice Niccolini hatten sich zum Ziel gesetzt, erstmals umfassend alle Aspekte des Lebens in dieser antiken Stadt in Bildern zu dokumentieren. So entstanden Le case ed i monumenti di Pompei, die zwischen 1854 und 1896 mit über 400 Farblithografien in Neapel veröffentlicht wurden. Detaillierte Beschreibungen vermitteln dem Betrachter einen umfassenden Eindruck Pompejis: In ihrem modernen Konzept konzentrieren sich die Brüder Niccolini nicht nur auf Veduten und Pläne der Stadt und der öffentlichen Gebäude, sondern vor allem auf die Wohnbauten, für die ein ganzheitliches Interesse besteht: Ihre Ausmalung und die dort gefundenen Kunstwerke und Gegenstände des täglichen Gebrauchs werden erstmals in ihrem Kontext dargestellt. Dazu kommen „animierte“ Darstellungen des antiken Alltagslebens in Tavernen, Werkstätten und Läden, auf öffentlichen Plätzen, in Tempeln, Theatern und Thermen.
Zwei einleitende Essays führen uns die historischen Voraussetzungen und die Protagonisten der Ausgrabungsgeschichte vor Augen. Welche Wirkung die pompejanische Kunst und die unvergesslichen Gipsabdrücke menschlicher Überreste auf Werke der bildenden Kunst hatten, zeigen etwa Arbeiten von Robert Adam, Anton Raphael Mengs, Angelika Kaufmann, Jean-Auguste-Dominique Ingres, Lawrence Alma-Tadema, Pablo Picasso, Giorgio de Chirico bis hin zu Duane Hanson und George Segal.
Für mich gehört zu den spannendsten Aspekten des Buches, wie – bei aller Detailtreue der Wiedergabe antiker Wandgemälde und Mosaiken, die wir heute von Fotografien oder sogar aus eigener Anschauung kennen – die visuellen Interpretations- und Wahrnehmungsschemata des 19. Jahrhunderts in diesen Reproduktionen zum Ausdruck kommt.
Ein wenig Interesse für antike Kunst und Geschichte sollte der Beschenkte (oder der Käufer, wenn die Anschaffung für diesen selbst gedacht ist) schon mitbringen. Aber auch die bloße Betrachtung und das Blättern zu immer neuen Perspektiven und Darstellungen hin ist gewinnbringend, lehrreich und unterhaltsam.