Totaler Mist mit möglicher Todesfolge
Würde Software wie Autos behandelt, dürfte Adobe Photoshop auf einem Supercomputer der NSA laufen lassen und dann behaupten, alle Prozesse liefen in Echtzeit. Das wäre für die Käufer ärgerlich, aber wenigstens nicht gesundheitsgefährdend. Klar, man kann Fehler machen, das anerkennen, um Entschuldigung bitten und für den entstandenen Schaden aufkommen. Aber die Software-Manipulation von VW ist kein schlichter Fehler, sondern eine gezielte Aktion zu Lasten von Umwelt und Käufern, mit dem Zweck, noch mehr Geld zu verdienen – und einem beachtlichen Potenzial krimineller Energie im Hintergrund.
Mein Vertrauen in Konzerne war noch nie sonderlich ausgeprägt. Die wollen Geld verdienen, viel Geld, mehr Geld – dass sie uns dafür Waren oder Dienstleistungen liefern müssen, ist nicht der Zweck ihrer Tätigkeit, sondern eine für sie lästige Begleiterscheinung. Daher verdienen auch die am meisten, die gar nichts liefern, sondern nur an den Finanzmärkten die Anteile abzweigen, von denen sie meinen, sie stünden ihnen zu. Die von den Parlamenten verabschiedeten Gesetze erlauben das – nach hinreichender Vorarbeit der Lobbyisten.
Wir wissen, dass Konzerne uns betrügen, indem sie Waren liefern, die kurz nach Ablauf der Garantiefrist kaputtgehen. Sie betrügen uns mit undurchschaubaren Abrechnungen. Sie betrügen ihre Arbeiter und Angestellten um angemessenen Lohn. Und zusätzlich zu diesem erlaubten Betrug vergeht kaum ein Tag, in dem wir nicht in den Medien lesen, wie sich Verantwortliche dieser Firmen zusätzlich illegal bereichern.
Was Fahrzeughersteller betrifft, so kommt ihnen der Staat beim Betrügen bereits insofern entgegen, als die ausgewiesenen und in Werbung und Produktbeschreibung verbreiteten Verbrauchs- und Abgaswerte unter völlig unrealistischen Bedingungen gemessen werden dürfen, die mit der Fahrpraxis des durchschnittlichen Käufers nichts zu tun haben. (Das ist etwa so, als würde man Photoshop oder Plug-ins auf einem Supercomputer laufen lassen und dann behaupte dürfen, alle Prozesse liefen in Echtzeit ab.) Wie gesagt: Das ist legal, obwohl jeder, der sich darum kümmert, weiß, dass bei diesen Wertangaben gelogen wird – im Interesse von Arbeitsplätzen, Exportsteigerungen und endlosem Wachstum.
Nicht mehr legal ist es allerdings, was nun herauskommt, dass nämlich bei VW extra eine Software programmiert wurde, die diese – bereits geschönten – Werte beim Abgastest gezielt so verfälscht, dass die betroffenen Autos im realen Betrieb ein Vielfaches an gesundheits- und umweltschädlichen Stoffen in die Luft blasen. Damit wird nicht nur jeder umweltbewusste Autokäufer betrogen, sondern auch unser aller Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Man darf auf die Sammelklagen der US-Anwälte gespannt sein, die Familien vertreten, in denen Menschen an Atemwegserkrankungen leiden oder wegen Kreislaufproblemen gestorben sind, die sich auf diese Stoffe zurückführen lassen *). Ergeht da ein Grundsatzurteil mit den üblichen US-Schadenersatzforderungen, ist VW wohl am Ende.
Schade für Deutschland, schade für die rund 600.000 Beschäftigten allein in Deutschland, die bereits entlassen werden, wenn sie im Werk eine Schraube mitgehen lassen. Wer in einer Umweltzone ohne gültige Schadstoffplakette fährt, muss 80 Euro zahlen **); wer als Hartz-IV-Empfänger schwarz fährt, pro Fall 60 Euro. Wie sieht dann hochgerechnet eine angemessene Strafe für die aus, die diese Software in Auftrag gegeben haben?
Wer dafür verantwortlich ist, kennt die Zusammenhänge von Abgaswerten und Gesundheitsgefährdung. Leben und Gesundheit von Menschen sind aber offensichtlich unbedeutend, wenn es um Profitmaximierung geht. Mord wird nach deutschem Recht besonders hart bestraft, wenn er in Tateinheit mit Habgier begangen wird. Hier haben wir es immerhin mit zumindest schwer fahrlässiger Körperverletzung und Tötung mit dem Tatmerkmal Habgier zu tun. Man darf gespannt sein, wie die Strafen ausfallen. Immerhin ist anzumerken, dass solche Autos trotz der nun nachgewiesenen Betrügereien immer noch deutlich weniger Schadstoffe ausstoßen, als das noch vor etlichen Jahren erlaubt war. Und ebenso, dass Experten vermuten, dass VW mit dieser Praxis nicht allein dasteht.
Es reicht wohl kaum aus, wenn der Amerika-Chef von VW, Michael Horn erklärt: „Wir waren unehrlich. Wir waren unehrlich zur Umweltbehörde EPA, wir waren unehrlich zu den Behörden in Kalifornien und, am schlimmsten von allem, wir waren unehrlich zu unseren Kunden. Um es auf gut Deutsch zu sagen: Wir haben totalen Mist gebaut.“ Die schwere Gesundheitsgefährdung von Hunderten von Millionen Menschen lässt sich mit „Mist gebaut“ wohl nur unzureichend beschreiben. Oder haben Bush, Assad und andere auch nur „Mist gebaut“? Die wollten ja eigentlich auch nicht primär Leichen produzieren, sondern nur wirtschaftliche Vorteile erzielen.
PS: Die Illustration darf mit dem Hinweis »Montage: Doc Baumann / DOCMA« frei verwendet werden.
Anmerkungen:
*) Bei den VW-Tricksereien geht es nicht um krebserregende Abgasanteile, sondern um Stickoxide, die nicht nur für die Vegetation schädlich und smogerzeugend sind, und deren Wirkung die Deutsche Umwelthilfe mit den Sätzen beschreibt: „Stickoxide führen zu Reizungen und Schädigung der Atemwege und haben damit negative Folgen für die menschliche Gesundheit. Stickoxide entstehen als Nebenprodukt bei Verbrennungsprozessen. Dabei werden Stickoxide überwiegend als Stickstoffmonoxid (NO) emittiert. In der Atmosphäre oxidieren sie zu Stickstoffdioxid (NO2). Dieses greift die menschlichen Schleimhäute an und führt so zu Atemwegserkrankungen, wie chronischer Bronchitis und Asthma. Eine höhere NO2-Konzentration erhöht außerdem das Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu sterben.“
**) Die Plaketten für Umweltzonen beziehen sich allerdings nicht auf den Stickoxidausstoß, sondern auf die Feinstaubemissionen.
Hallo Herr Baumann,
ich musste bitter schmunzeln, als ich las (Zitat aus Ihrem Beitrag):
„…dass sie uns dafür Waren oder Dienstleistungen liefern müssen, ist nicht der Zweck ihrer Tätigkeit, sondern eine für sie lästige Begleiterscheinung.“
Da fällt mir spontan auch die BAHN ein…
Noch ein Zitat:
„… Wir wissen, dass Konzerne uns betrügen…“
Ja, und ich werde mein Leben lang eine Sentenz, die mir meine Oma mitgab, nicht vergessen, die so lautet:
„Von ehrlicher Arbeit ist noch kein Mensch reich geworden!“
Zitat:
„Wir wissen, dass Konzerne uns betrügen, indem sie Waren liefern, die kurz nach Ablauf der Garantiefrist kaputtgehen. Sie betrügen uns mit undurchschaubaren Abrechnungen. Sie betrügen ihre Arbeiter und Angestellten um angemessenen Lohn. Und zusätzlich zu diesem erlaubten Betrug vergeht kaum ein Tag, in dem wir nicht in den Medien lesen, wie sich Verantwortliche dieser Firmen zusätzlich illegal bereichern.“
Dazu fällt mir Carl Orffs Oper „Die Kluge“ ein:
„Denn wer viel hat, hat auch die Macht, und wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch, denn über allem herrscht Gewalt!“
MfG – Frank