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Hau wech den Scheiß!

VerschleissDie Garantiezeit ist gerade abgelaufen, da geht der Drucker kaputt. Pech gehabt! Nach endlosem Ausharren in der Warteschleife dessen, was der Hersteller als „Service-Hotline“ bezeichnet, teilt Ihnen eine freundliche Dame mit, dass eine Reparatur möglich ist – die Kosten liegen allerdings knapp unter dem Kaufpreis.

Hat das Ding ein wenig länger gehalten, werden Sie womöglich erfahren, dass es für dieses spezielle Modell leider keine Ersatzteile mehr gibt. Wie kann ein Hersteller nur so blöd sein und nach so kurzer Zeit keine Ersatzteile mehr vorrätig haben?! Die Konzerne sind keineswegs blöd, sondern im Gegenteil sehr clever; nicht allein, weil sie die Kosten der Lagerhaltung sparen. Sie wollen einfach nur, dass Sie das alte Produkt wegwerfen und ein neues kaufen.

Wenn Sie sich mit einem Totalausfall herumschlagen müssen, mag das Zufall und persönliches Pech sein. Wenn es einen Bekannten und dann noch einen und zahllose weitere ebenso trifft, kann es kein Zufall mehr sein. Dahinter steckt eine perfide Absicht, und die hat einen Namen: Geplanter Verschleiß.

Über das Thema hat der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Banker Christian Kreiß ein Buch geschrieben, dessen erster Teil eine Fülle von Beispielen dafür nennt, wie Produkte gezielt so hergestellt werden, dass sie nach einer genau geplanten Zeitspanne kaputt gehen. Sei das der Chip im Drucker, der nach einer bestimmten Anzahl von Prints das Gerät lahmlegt, die Glühbirne, die nach einem alten Kartellbeschluss nur noch 1000 Stunden leuchten darf (die aus der DDR-Produktion hielten ewig), die Strumpfhose, die zunächst sehr strapazierfähig war, bis es den Technikern gelang, Sollbruchstellen in die Webfäden einzubauen.

(Als energiebewusster Mensch habe ich den größten Teil der Beleuchtung in meiner Wohnung auf LEDs umgestellt – bis mir irgendwann auffiel, dass ich künftig die komplette Lampe wegwerfen muss, wenn die kleine, fest verbaute Leuchtdiode den Geist aufgibt. Und wer garantiert mir, dass das tatsächlich erst in 10000 Stunden der Fall sein wird?) Man kennt das vom fest verbauten Akku in SmartPhones oder Tablets: Sind seine Ladezyklen am Ende, müssen Sie das ganze Gerät wegwerfen.

Nehmen wir unsere Computer. In der Anfangszeit bot Apple für Folgemodelle noch einen Aufrüstsatz an, nur die Hauptpla­tine und ein paar Komponenten wurden preisgünstig ausgetauscht. Das gibt’s schon lange nicht mehr. Wer eine neue ­Programmversion von Photoshop erwerben will – lassen wir den Cloud- und Abo-Ärger mal unberücksichtigt –, muss eine aktuelle Betriebssystem-Version haben. Die wiederum läuft auf älteren Rechnern nicht. Kauft man einen neuen, unterstützt der nicht mehr die ganze Software, die man im Laufe der Zeit darauf installiert hat. Also muss auch die neu erworben werden. Und so dreht sich die gewinnträchtige Spirale endlos weiter, wobei wir oft nicht einmal erwarten können, dass das Neue besser ist als das Alte.

Beispiele gibt es genug. Viele finden Sie in diesem Buch, viele kennen Sie selbst. Sie müssen lediglich die Perspektive wechseln und nicht länger an persönliches Pech glauben, sondern sich fragen, wer von dem Ausfall ­profitiert.

Das alles ist ärgerlich genug. Aber Ihre individuelle Frustration ist erst der Anfang. Zum einen verursacht diese Strategie erhebliche Umweltprobleme: Es fallen gewaltige Mengen an unnötigem Abfall an, und es müssen immer neue Rohstoffe für die Produktion herbeigeschafft werden. Die Endlichkeit der Ressourcen interessiert da niemanden.

Zum anderen gibt es neben den ökologischen Folgen ökonomische: Würden alle Produkte so gut wie technisch möglich hergestellt, würden sie sehr viel länger halten und die Konsumenten müssten nicht ständig Ersatz erwerben. In Zahlen: Die Kosten der durch geplanten Verschleiß entstehenden Ersatzkäufe belaufen sich derzeit in Deutschland auf geschätzte 106 Milliarden Euro pro Jahr; das entspricht „1325 Euro pro Kopf und Jahr, vom Säugling bis zum Greis. Also jedem Einwohner werden pro Monat derzeit über 110 Euro durch geplante Obsoleszenz entzogen.“

Ich kann hier nicht das ganze Buch referieren – lesen Sie es selbst. Sie werden danach vieles besser verstehen. Es ist gegliedert in die Kapitel „Erscheinungsformen“, „Ausmaß und Wirkungen“, „Ursachen“ und „Abhilfen“.

Kreiß erkennt ganz richtig, dass diese Entwicklung kein Ausrutscher ist, sondern die kon­-
sequente Folge eines Wirtschaftssystems, in dem alles dem Ziel unterworfen ist, den Reichtum eines winzigen Bevölkerungsanteils durch Umverteilung von unten nach oben stetig und zunehmend zu mehren. Die Einsicht in diese Zusammenhänge beginnt langsam sich auszubreiten. Die empirisch gut belegten Thesen des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Piketty machen klar, dass Einnahmen aus Arbeit nicht zu Reichtum führen, sondern nur die Verfügung über Kapital.

„Zufriedene Kunden sind für Konzerne nur Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck. Im Mittelpunkt der Unternehmensstrategien von Großunternehmen steht praktisch immer Gewinnmaximierung. Gute Produkte sind nur das Mittel, das Vehikel. Es gibt a priori keinen Anreiz für Großunternehmen, möglichst gute Produkte herzustellen, sondern solche Produkte, die einen möglichst hohen Gewinn herbeiführen“, schreibt Kreiß richtig.

Bei allem Erkenntnisgewinn, den die Lektüre seines Buches verspricht, kommt man nicht umhin, viele Lösungsvorschläge im letzten „Abhilfe“-Kapitel für halbherzig zu halten, denn sein Text „soll ein Plädoyer für mehr Marktwirtschaft, mehr freies kapitalistisches Unternehmertum“ sein; und er betont, „dass ich ein überzeugter Gegner sowohl des theoretischen Marxismus wie auch des unmenschlichen real existierenden Sozialismus bin.“

Das Letztere: Na klar, der hat sich gründlich diskreditiert. Das Erstere: Mal im ersten Band von Marx’ „Das Kapital“ nachschlagen und sich die Kapitel über den Unterschied von Gebrauchs- und Tauschwert von Waren reinziehen. Das macht seitenlange (und oft redundante) Ausführungen unnötig, weil Marx dazu bereits fast alles gesagt hat. Geplanter Verschleiß ist kein Betriebsunfall des Kapitalismus, sondern eines seiner Schmiermittel. 

Geplanter Verschleiß
von Christian Kreiß
gebunden, 238 Seiten
Europa Verlag, 2014
18,99 Euro


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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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