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Kein Ende mit der Blende

Über die Merkwürdigkeiten der Blendenreihe

Seit Douglas Adams’ Per Anhalter durch die Galaxis wissen wir, dass eine Trilogie auch mehr als drei Teile haben kann. In diesem vierten Teil meiner Blenden-Trilogie widme ich mich den seltsam krummen Blendenwerten, die um so größer werden, je kleiner die Blende ist.

Die Reihe der Blendenwerte gehörte einst zu den Dingen, die Anfänger in der Fotografie irritierten. Heute kann man jahrelang mit seinem Smartphone fotografiert haben (wie es ja die meisten tun), ohne jemals mit Blendenwerten in Berührung gekommen zu sein. Die Kameramodule von Smartphones haben zumeist eine feste Blende, so dass es gar nichts einzustellen gibt, selbst wenn man sich keiner Automatik anvertrauen möchte.

Der Blendenring des Fuji XF 56 mm F1.2 (Bild: Fujifilm)

Wer aber zu einer Systemkamera wechselt, muss sich doch damit herumschlagen. Die Blendenwerte erscheinen auch nicht mehr nur als flüchtige Ziffern auf dem Display. Nachdem der Blendenring vor Jahren schon fast ausgestorben schien, weil man alle Einstellungen mit Rändelrädern an der Kamera vornahm, feierte er zuletzt eine Renaissance, und er konfrontiert den Fotografen mit einer Blendenreihe, beispielsweise 1,4 – 2 – 2,8 – 4 – 5,6 – 8 – 11 – 16 – 22. Dass jeder zweite Wert eine Zweierpotenz ist, fällt jedem auf; nur mathematisch Versierte erkennen auf den ersten Blick, dass jede Zahl um die Quadratwurzel aus 2 (also rund 1,4) größer als ihr Vorgänger ist. Kann man so machen – aber warum? Und warum werden die Blendenwerte größer, wenn man abblendet, die Blendenöffnung also verkleinert? Man könnte fast denken, wer immer sich das ausgedacht hat, wollte Anfänger mutwillig verwirren.

Bei der Blendenwahl geht es, so viel steht fest, um die Öffnung des Objektivs, also die Fläche, durch die Licht hinein gelangt: Je größer diese Öffnung, desto mehr Licht kommt hinein – und hinten wieder heraus, um den Sensor oder Film zu belichten. Wohlgemerkt: Entscheidend ist hier nicht die von den Blendenlamellen gebildete Öffnung, sondern deren Bild, wie es sich beim Blick von vorne in das Objektiv präsentiert – die sogenannte Eintrittspupille. (Schaut man von hinten in das Objektiv, sieht man die Austrittspupille. Die ist ebenfalls relevant, aber hier und heute nicht das Thema.)

Naiverweise würde man annehmen, die Blendenzahl wäre der Durchmesser der Eintrittspupille, aber dann müssten die Werte ja beim Abblenden schrumpfen, während sie tatsächlich wachsen. Vergleicht man die Blendenöffnungen verschiedener Objektive, fällt zudem auf, dass sie beim gleichen Blendenwert keineswegs immer gleich groß sind. Je länger die Brennweite eines Objektivs, desto größer ist die Öffnung, und das hat seinen Sinn.

Der Öffnungsdurchmesser ist zwar für die Schärfentiefe und das Bokeh entscheidend, aber zunächst einmal kommt es auf die richtige Belichtung an, und diese hängt nicht allein von der Blende (und der Verschlusszeit), sondern auch von der Brennweite ab. Je länger die Brennweite, desto kleiner ist der Ausschnitt, der auf Sensor oder Film abgebildet wird. Man könnte auch sagen, dass ein Objektiv längerer Brennweite das durch seine Öffnung gesammelte Licht auf eine größere Fläche verteilt, so dass nur ein kleinerer Teil davon auf die Bildfläche fällt. Wenn der Fotograf oder die Belichtungsautomatik nun eine geeignete Blende und Verschlusszeit wählen, um das vorhandene Licht auf die Empfindlichkeit von Sensor oder Film abzustimmen, müsste zusätzlich noch Brennweite mit einbezogen werden, was die Sache verkompliziert.

Um den Einfluss der Brennweite auf die Belichtung zu berücksichtigen, kann man sie aber auch von vornherein in die Blendenzahl mit einrechnen, und diese elegante Lösung hatte man schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts gefunden: Man teilt die Brennweite durch den Durchmesser der Eintrittspupille und verwendet das Resultat als Blendenwert. Da man durch den Öffnungsdurchmesser teilt, verkleinert sich der Blendenwert, wenn man den Durchmesser vergrößert. Diese unintuitive Konsequenz war keineswegs zwingend, denn genauso gut hätte man umgekehrt den Durchmesser durch die Brennweite teilen können. Dem Einfluss der Brennweite wäre damit ebenfalls Rechnung getragen worden, aber die Öffnung hätte sich proportional zum Blendenwert vergrößert, so wie man es erwartet.

Steckt also doch eine Schikane dahinter, um angehende Fotografen zu verwirren? Durchaus nicht. Die vom Blendenring vertrauten Zahlen sind nämlich gar nicht die wirklichen Blendenwerte, sondern eine Abkürzung. Vollständig ausgeschrieben haben wir es beispielsweise nicht mit Blende 5,6 zu tun, sondern mit f/5,6, also die Brennweite, geteilt durch die Blendenzahl. Damit stehen diese Werte doch – hatten wir es nicht von Anfang an vermutet? – für den Öffnungsdurchmesser, denn wenn wir die Brennweite f durch die Zahl auf dem Blendenring teilen, kommt wieder der Durchmesser D heraus: f / (f/D) = D.

Den Zahlen auf dem Blendenring (hier am Beispiel der Fuji X-T5 mit dem XF 56 mm F1.2) muss man ein f/ voranstellen, genauso wie die Zahlen auf dem Verschlusszeitenrad um 1/ zu ergänzen sind. (Bild: Fujifilm)

Die ausgeschriebene Form des Blendenwerts wird oft für die Lichtstärke eines Objektivs verwendet, entweder als f/1,4, ohne den Schrägstrich als F1,4 oder auch als reines Verhältnis 1:1,4. Auf dem Blendenring hingegen lässt man der Übersichtlichkeit halber das f/ weg. Genauso wird es ja beim Verschlusszeitenrad gehandhabt, jedenfalls bei Kameras, die noch eines haben: Die Verschlusszeiten gibt man eigentlich als Bruchteile einer Sekunde an, aber auf dem Rad ist nur Platz für die Zahl unter dem Bruchstrich, also 1000 statt 1/1000 s. Tatsächlich wird die Blende daher kleiner, obwohl die Blendenzahl vermeintlich größer ist, genauso wie die Verschlusszeit verkürzt wird, wenn man eine größere Zahl wählt. Denkt man sich das eingesparte f/ beziehungsweise 1/ hinzu, ergibt das alles einen Sinn.

Damit wäre nur noch die Frage zu beantworten, was die Wurzel aus 2 in der Blendenreihe zu suchen hat. Bei der Belichtung geht es um die Menge des Lichts, die in das Objektiv gelangt, und die hängt von der Fläche der Öffnung ab, nicht von deren Durchmesser. Oder vielmehr: Sie hängt vom Quadrat des Durchmessers ab. Um die Lichtmenge zu verdoppeln oder zu halbieren, muss man den Durchmesser um den Faktor Quadratwurzel aus 2 vergrößern beziehungsweise verkleinern; auf die Fläche bezogen entspricht das dann einem Faktor 2. Und damit wäre auch das geklärt.

Von einem Blendenwert zum nächsten ändert sich die Belichtung um jeweils 1 EV, genauso wie bei einer Verdopplung oder Halbierung der Verschlusszeit durch eine Drehung des Verschlusszeitenrads. Da Schritte von 1 EV für eine präzise Belichtungssteuerung oft zu grob sind, hat der Blendenring meist noch eine oder zwei Raststufen dazwischen, so dass man auf ½ oder ⅓ EV genau belichten kann. Drittelschritte zwischen 4 und 5,6 beispielsweise entsprechen 4,5 und 5,0, müssen aber durchweg ohne Beschriftung auskommen – aus Platzgründen, aber auch aus solchen der Übersichtlichkeit.

PS: Vielleicht folgt noch ein fünfter Teil der Blendentrilogie, aber frühestens in zwei Wochen. Für die nächste Woche habe ich mal wieder ein KI-Thema eingeplant: Haben wir Peak Data erreicht, wie Vertreter einiger KI-Unternehmen behaupten, was ist das überhaupt und was wären die Folgen, wenn sie richtig lägen?


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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