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Blende vs. Blende

Wenn der Strahlengang vor, in oder hinter einem Objektiv zu eng ist, stellt sich ein durchweg unerwünschter Vignettierungseffekt ein. In scheinbarem Widerspruch dazu kann eine kleinere Blende – die den Strahlengang ja ebenfalls verengt – der Randabdunkelung oft entgegenwirken. Wie löst sich dieser Widerspruch auf?

Vielleicht haben Sie schon mal die falsche Streulichtblende (manche nennen sie „Gegenlichtblende“, obwohl sie gegen direktes Gegenlicht gar nichts ausrichten kann) auf ein Objektiv gesetzt und das erst im Nachhinein am dunklen Rand der Aufnahmen erkannt. Ist ja klar: Ein Objektiv bringt Licht aus einem bestimmten Bildwinkel auf den Sensor, und wenn eine Blende vor dem Objektiv in diesem Winkelbereich hinein ragt, kommt am Rand des Bildfelds nicht mehr so viel Licht auf die Frontlinse und am Ende auf den Sensor.

Eine Randabdunkelung gibt es aber auch mit einer richtig bemessenen oder gar keiner Streulichtblende – aus verschiedenen Gründen, von denen manche mit dem Winkel der Lichtstrahlen zusammenhängen. Genauso wie die tief stehende Wintersonne nur Licht in einem flachen Winkel spendet, weshalb auf der Nordhalbkugel der Erde weniger Sonnenenergie als im Sommer ankommt, ist auch Licht, das in einem flachen Winkel auf den Sensor trifft, weniger hell. Und schon das von einem Motiv am Bildrand reflektierte Licht fällt in einem flachen Winkel auf das Objektiv und ist von vornherein weniger hell als das Licht von einem Motiv nahe der Mitte, auch wenn beide gleich hell ausgeleuchtet sind.

So lange keine Streulichtblende im Weg ist, nutzt das von jedem Punkt der fotografiertem Szene ausgehende Licht den gesamten Durchmesser der Frontlinse, um in das Objektiv zu gelangen, und fließt dann in einem breiten Strom hindurch; erst auf dem Sensor wird jedes Lichtbündel auf einen Punkt konzentriert (jedenfalls dann, wenn man auf das jeweilige Motivdetail scharfgestellt hat, und sonst auf einen Unschärfekreis). In der Praxis gibt es aber immer Hindernisse, so dass sich das Licht nicht frei ausbreiten kann. Eines davon bilden die Blendenlamellen – aber auf diese komme ich später. Idealerweise würde ein Lichtbündel nacheinander jede einzelne Linse eines mehrlinsigen Objektivs – von denen viele kleiner als die Frontlinse sind – auf voller Breite passieren, ohne irgendwo anzustoßen. Wenn das nicht klappt, wird der Teil des Lichts, der eine Linse nicht optimal trifft, im besten Fall im Tubus absorbiert; im ungünstigsten Fall vagabundiert es als Streulicht durch das Objektiv und erzeugt Geisterbilder oder verringert den Kontrast. Licht, das aus der Mitte der Szene kommt, hat generell die besten Chancen, ebenso mittig alle Linsen zu passieren, während Lichtbündel aus den Randbereichen des Bildfelds ein größeres Risiko haben, irgendwo anzustoßen.

Ein Lichtbündel von einem nicht fokussierten Punkt trifft als Unschärfekreis auf den Sensor. Normalerweise hat dieser die Form der Blende, ist also kreisrund oder vieleckig.

Wenn das passiert, erkennt man es auch am Bokeh. Im unscharfen Bereich des Bildes setzt es sich nicht aus lauter fokussierten Punkten zusammen, sondern aus kleineren oder größeren Unschärfekreisen, deren Form der Querschnitt des Lichtbündels ist, das sie erzeugt hat. Der sollte eigentlich die Form der Blende haben, die er ja passieren musste und die ihn begrenzt, aber wenn das Licht zusätzlich von irgendeiner Linsenfassung blockiert wird, bekommt er eine Spindelform, wobei die Längsseite der Spindel dem Mittelpunkt es Bildes zugewandt ist.

Insbesondere Licht vom Rand des Bildfelds kann zusätzlich von einer Linsenfassung blockiert werden; zwischen den Hindernissen von Blende (rot) und Linsenfassung (blau) entsteht dann eine Spindelform.

Liebhabern spezieller Bokeh-Varianten ist das als swirly bokeh bekannt: Abseits der Bildmitte und außerhalb der Schärfenzone werden die unscharfen Details tangential gestreckt, was den Eindruck eines Wirbels um die Bildmitte erweckt. Dass am Bildrand und vor allem in den Ecken weniger Licht auf den Sensor gelangt und das Bild daher dort dunkler ist, kommt dann noch hinzu; diese Vignettierung zeigt sich auch bei einem vollständig scharfen – und daher wirbelfreien – Foto.

Diese Vignettierung lässt sich allerdings durch Abblenden verringern, was erst einmal widersinnig erscheint – schließlich kontert man eine Randabdunkelung aufgrund einer Begrenzung des Strahlengangs, indem man den Strahlengang noch zusätzlich beschränkt. Warum das dennoch funktioniert, kann man sich anhand der Illustration oben veranschaulichen: Schließt man die Blende, so verkleinert sich der rote Kreis, bis er schließlich vollständig in den blauen Kreis passt. Dann kommt zwar insgesamt noch weniger Licht auf den Sensor, was ja ganz generell der Effekt des Abblendens ist, aber am Rand gleich viel Licht wie in der Mitte. Die Randabdunkelung verschwindet daher, und ebenso das swirly bokeh.

Die Blendenlamellen schließen sich zwar von außen nach innen, und man könnte denken, dass sie daher zunächst das Licht aus den Randbereichen der Szene blockieren. Tatsächlich aber passiert das Licht von jedem Punkt aus den gesamten verfügbaren Querschnitt, sofern es nicht an anderer Stelle behindert wird. Ob das Licht nun aus der Mitte oder einer der Ecken kommt, nutzt es immer die gesamte Blendenöffnung, also deren Rand ebenso wie die Mitte. Abblenden reduziert die Lichtmenge, die durch das Objektiv strömt, aber im ganzen Bild in gleichem Maße. (Genau genommen spielt auch hier der Winkel noch eine Rolle, aber ich will’s mal nicht zu kompliziert machen.) Die Blende im Objektiv hat eine völlig andere Wirkung als die Streulichtblende davor. Eine Blende vor dem Objektiv soll ja alles unerwünschte Licht von jenseits des Bildfelds blockieren, damit es nicht als Streulicht die Bildqualität beeinträchtigt, die Lichtstärke aber nicht verringern – was wiederum die Blende im Objektiv tut.

Dasselbe gilt übrigens für einen Zentralverschluss im Objektiv, wie es ihnen in vielen Kompaktkameras und bei manchen Mittelformatobjektiven gibt. Die Lamellen dieses Verschlussmechanismus liegen in etwa derselben Ebene wie die Blende und haben daher eine vergleichbare Wirkung. Obwohl sich ein Zentralverschluss von innen nach außen öffnet und durch seine Mitte daher länger und insgesamt mehr Licht strömt als entlang des Randes, erfolgt die Belichtung im ganzen Bildfeld gleichmäßig und gleichzeitig. Das macht den Zentralverschluss zu einem globalen Verschluss, der frei von Bewegungsartefakten und einer Streifenbildung aufgrund pulsierender Lichtquellen bleibt und beim Einsatz von Blitzgeräten auch sehr kurze Zeiten synchronisieren kann.

Allerdings kann sich ein Zentralverschluss auf das Bokeh auswirken, und dieser Einfluss ist dann durchweg negativ. Da Blende und Verschluss unmittelbar hintereinander liegen, wird die effektive Blendenöffnung durch die Lamellen beider Mechanismen gebildet, und die Verschlusslamellen sind oft nicht so schön abgerundet wie die der Blende. Während jener Zeitabschnitte der Belichtung, in denen sich der Verschluss öffnet oder schließt und in denen er kleiner als die Blende ist, ist er ausschlaggebend für die Gestalt der Unschärfekreise und damit bestimmend für das Bokeh. Dieser oft unschöne Effekt zeigt sich desto stärker, je größer die Blende und je kürzer die Verschlusszeit ist: Die Verschlusslamellen sind dann die meiste Zeit damit beschäftigt, sich zu öffnen oder zu schließen, und bewegen sich dabei größtenteils innerhalb der Blendenöffnung.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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