If then now

In dem Buchprojekt „IF THEN NOW“ zeigen 30 Kreative aus aller Welt beeindruckende Bildstrecken zwischen Fotografie und KI. Oder doch nicht? Christoph Künne hat bei den Berliner Initiatoren Kai Heimberg und Ulla Selmer nachgefragt. DOCMA: Wie seid ihr denn auf die Idee gekommen, so ein aufwendiges Projekt in die Welt zu setzen? Kai Heimberg: Eigentlich bin ich Konzertveranstalter und beschäftige mich in meiner Freizeit fotografisch mit Porträtserien, bei denen ich vor allem Berliner Künstler und Nachtgestalten vor die Kamera bitte. Als das letzte Projekt abgeschlossen und in Buchform gebracht war, wollte ich eine neue bildnerische Herausforderung und suchte nach neuen Ideen. Ulla Selmer: Das war etwa zu der Zeit, als KI-Bilder-Apps plötzlich alle möglichen Services boten, wie Face-Swapping oder dass man mit ersten Avatar-Voice-Over-Funktionen herumspielen konnte. Ich arbeite in einer Branding-Agentur – da ist es wichtig, alle diese Tools und Möglichkeiten zu kennen. Damit zu experimentieren hat mir sogar großen Spaß gemacht und ich habe Kai fast täglich mit den Ergebnissen und entstandenen Bildern getriggert. Kai Heimberg: Ich fand das ziemlich spannend und dachte, ein KI-Projekt wäre für mich eine doppelte Herausforderung: Zum einen würde ich vom fotografischen Beobachter, dem sogenannten „Sammler”, zum Jäger werden – also, statt auf den spontanen Moment beim Fotografieren zu setzen, nun Bilder konzeptionell durchzuplanen. Zum anderen war da die Arbeit mit für mich ganz neuen Werkzeugen, die plötzlich alles zu ermöglichen schienen. Das war aber natürlich nur der Anfang. Man spielt so mit skurrilen Themen rum und hat in erster Linie viel Spaß. Irgendwann entwickelte es sich dann zu einer Art Abenteuerreise, bei der wir uns förmlich durch fremde Länder und andere Kulturen hindurch gepromptet haben. DOCMA: Wie wurde es dann von der Spielerei zum Projekt? Ulla Selmer: Ich habe zu Hause eine riesige Arbeitswand, die wir im Lauf der Zeit mit unendlich vielen kleinen Bildern und Ideen gefüllt hatten. Je mehr Bilder entstanden, desto klarer war: Das müssen wir jetzt systematisieren. Bei Marketingprojekten arbeitet man gerne mit sogenannten „Personas“, also künstlichen Charakteren, die beispielsweise prototypisch für bestimmte Zielgruppen stehen. Wir haben das Konzept abgewandelt und uns 30 verschiedene Fotografen-Personas ausgedacht, die aus der ganzen Welt stammen und für die Motive verantwortlich sein sollten. Akribisch wie ein Profiler haben wir Bilder kategorisiert und Geschichten hinter den Geschichten konzipiert. Kai Heimberg: Also unter anderem die Lebensläufe, die Werdegänge und das technische Set-Up der Fotografen – von Polaroid bis Hasselblad. DOCMA: Ihr habt euch also erst 30 Fotografen ausgedacht und dann Lebensläufe für sie entworfen? Kai Heimberg: Genau. Und das Reizvolle an der Bilder-KI ist für uns ja auch, dass etwas echt aussieht, was gar nicht echt ist. Wir wollten von Anfang an keine Klischee-KI-Motive, wie zum Beispiel den Papst in Prada oder Kinder als Astronauten, umsetzen. Unser Ziel war es, möglichst viel sehr real und authentisch wirken zu lassen. Im Prinzip also so, dass KI die Kamera ersetzt. Von daher war das für uns eine spannende Herausforderung etwas Quasi-Reales in die Welt zu setzen. Ulla Selmer: Es musste vor allem glaubwürdig sein. Die Bilder waren keine Zufallsprodukte, keine Zufalls-Prompts - es ging darum, nachvollziehbare und vermeintlich glaubwürdige Motive und Stories im Kontext des Fotografen zu kreieren. Wir hatten da während der Projektphase auch lange Diskussionen, weil man ja auf sehr viele moralische Zusammenhänge Rücksicht nehmen muss, zumal wir uns in einem für solche Themen recht sensiblen Umfeld bewegen. DOCMA: Wo lagen denn die Fallstricke? Kai Heimberg: Das fängt bei relativ banalen Überlegungen an, die auch Fotografen anstellen: Darf man bedürftige Menschen ästhetisiert darstellen? Wie geht man mit Bildern um, die Kriegsopfer zeigen? Es gibt echte Fotos, für die riskieren die Menschen, die sie fotografieren, ihr Leben. Diesen Einsatz würde man entwerten, wenn man sie einfach mit KI errechnet. Oder auch: Kann ich als heterosexueller Mann die ästhetischen Empfindungen eines homosexuellen Mannes nachempfinden und angemessen umsetzen? Dann ist da auch noch das Feld der kulturellen Aneignung, auf dem man sich auch sehr vorsichtig bewegen muss. Ulla Selmer: In dem Prozess haben wir gemerkt, dass vieles, was wir schon produziert hatten, in so ein Projekt nicht mit aufgenommen werden konnte. Aber wir waren uns immer recht schnell einig, was geht und was nicht. Wichtig ist auch, dass die Motive nie diffamierend sind, sondern immer sehr wertschätzend und inklusiv gedacht sind. Am Ende hatten wir einen ganz guten Workflow: Kai hat kreiert, er ist der Geschichtenerzähler, und ich habe ein paar Motive ergänzt, aber vor allen Dingen layoutet und selektiert, also kuratiert. DOCMA: Das klingt für mich nach viel Zeitaufwand. Mit welcher Midjourney-Version habt ihr gearbeitet? Kai Heimberg: Weil das ganze Projekt so lange gedauert hat, zunächst mit den V5-Versionen von Midjourney. Als dann Ende letzten Jahres alles langsam fertig war, kam Midjourney V6 und wir mussten ungefähr 80 Prozent der Bilder neu rechnen oder sogar neu denken – weil es plötzlich ganz neue Möglichkeiten gab. Ulla Selmer: Das hat schon einiges an „Elbow Grease“ erfordert. (lacht) Es war immer eine Mischung aus Midjourney, Topaz Gigapixel und den KI-Funktionen von Photoshop. Wir sind über viele Details unzählige Male drübergegangen und waren selbst kurz vor Druckschluss noch überrascht, welche KI-Fehler wir übersehen hatten. Es ist ein großer Unterschied, Bilder mal schnell für eine PowerPoint-Präsentation zu generieren oder so zu finalisieren, dass man sie als 18/1 Plakat drucken kann. Wir sind an den Abenden und Wochenenden mit der Lupe über alles gegangen. Jede Minute Freizeit floss in dieses Projekt. Aber am Ende hat es sich absolut gelohnt. DOCMA: Wie ging es weiter? Wie habt ihr das Projekt publik gemacht? Kai Heimberg: Vor allem über unsere beruflichen und privaten Kontakte auf den sozialen Kanälen und unserer Website www.ifthennow.de. Wir wurden eingeladen, das Projekt Ende April 2024 im Berliner Admiralspalast zu präsentieren und in einem Interview auf radioeins vorzustellen. Ulla Selmer: Und bei unserem Buch-Release haben wir die Betrachter ganz bewusst erst mal im Unklaren darüber gelassen, welche Bilder KI-generiert oder -optimiert sind und welche vielleicht nicht. Die meisten Besucher hatten keine Erfahrung mit KI-Kunst und konnten das nicht dechiffrieren. Da die meisten unserer Motive so authentisch wirken, verwirrte das viele. Auch die Tatsache, dass nicht einmal die Fotografen echt sind, haben die meisten überhaupt nicht gemerkt. Dieser Diskurs, der resultierende Gedankenaustausch, war uns sehr wichtig, denn KI verunsichert immer noch sehr. Kai Heimberg: … und wir konnten viele Bücher verkaufen. Dank der Sponsoren, die die Druckkosten übernommen hatten, konnten wir den gesamten Erlös an „Ärzte ohne Grenzen“ spenden. Das macht uns sehr glücklich! Wir wurden im Nachgang angesprochen, zwei Ausstellungen zu machen – eine zum Ortstermin24 in Berlin Moabit und eine größere im Admiralspalast jetzt im Dezember. Die nächste große und spannende Projektphase hat also schon begonnen.