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Kann Licht einen Schatten werfen?

Es klingt absurd, aber einer Gruppe kanadischer und amerikanischer Wissenschaftler ist jetzt der Nachweis gelungen, dass ein Laserstrahl einen Schatten werfen kann. Obwohl – so ganz stimmt es dann doch nicht.

Ein grüner Laserstrahl quert einen blauen Laserstrahl und wirft dem Anschein nach einen Schatten.

Man könnte ja denken, dass sich Licht – zumal viel Licht – auch selbst im Wege stehen könnte. Etwa so, wie allzu viele Autos eine Autobahn verstopfen, um dann im Stau steckenzubleiben. Dennoch machen wir nie die Erfahrung, dass Licht so etwas passiert. Als Fotografen müssen wir beim Lichtsetzen auch nicht befürchten, dass die Photonen des Hauptlichts vorne mit denen einer hinter dem Motiv positionierten Lichtquelle kollidieren. Dass die immateriellen Lichtstrahlen gar einen Schatten werfen könnten, klingt wie ein Witz.

Auch die Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift Optica veröffentlicht haben, hatten sich darüber amüsiert, dass im Rendering der 3D-Illustration eines Versuchsaufbaus ein Laserstrahl einen Schatten warf. Ein Fehler, klar, aber als sie beim Mittagessen zusammensaßen, begannen sie ernsthaft darüber zu diskutieren, ob so etwas nicht tatsächlich möglich wäre. Ihr Artikel in Optica (dem ich auch die hier verwendeten Illustrationen entliehen habe) demonstriert nun den Schattenwurf eines Laserstrahls – oder jedenfalls hat es den Anschein, dass sich Licht durch Licht blockieren lässt.

Ein breiter blauer Laserstrahl durchdringt einen Rubinkristall, durch den im rechten Winkel dazu ein dünner grüner Laserstrahl geht. Hinter dem Kristall wird ein Schatten sichtbar, der anscheinend vom grünen Strahl geworfen wird.

Nun ist es eigentlich nicht möglich, dass sich Photonen, also die Teilchen, aus denen Licht besteht, gegenseitig blockieren. Da Photonen keine Masse besitzen, durchdringen sich Lichtstrahlen mühelos. In einem feinen Laserstrahl ist genug Platz für eine beliebig hohe Lichtenergie, und wenn sich die Strahlen kreuzen, behindern sie sich nicht.

Dass sich Licht mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet, ist natürlich eine Tautologie, aber seit Einstein wissen wir ja, dass die Lichtgeschwindigkeit (genauer gesagt: die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum) eine absolute und unerreichbare Grenze bildet – für die Geschwindigkeit von Körpern, die Ausbreitung von Informationen und jedwede kausale Wirkung. Eine Masse, egal wie klein, lässt sich nicht auf die Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, und schon gar nicht darüber hinaus. Nur weil Photonen masselos sind, können sie sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, und tatsächlich kennen sie gar keine andere, niedrigere Geschwindigkeit – wir können sie nicht abbremsen.

Aber Moment mal: Wer sich schon einmal damit beschäftigt hat, wie Lichtstrahlen von einer Glaslinse gebrochen werden, dürfte gelesen haben, dass Licht beim Übergang von Luft in Glas langsamer und nach dem Verlassen der Linse wieder schneller wird. Eben durch die unterschiedliche Geschwindigkeit des Lichts in Medien unterschiedlicher optischer Dichte ist die Lichtbrechung zu erklären. Dabei geht es allerdings um eine andere Definition von Geschwindigkeit, für die man das Licht als Welle statt als Teilchen betrachten muss: Wellenpakete, die durch sich überlagernde Lichtwellen gebildet werden, haben eine sogenannte Gruppengeschwindigkeit, die geringer sein kann als die Ausbreitungsgeschwindigkeit einzelner Lichtwellen (und der Photonen) selbst. Für die Lichtbrechung ist allein diese Gruppengeschwindigkeit relevant.

Gemäß der Relativitätstheorie vergeht die Zeit um so langsamer, je schneller man sich bewegt, und wenn man sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt – was uns selbst, wie erwähnt, nicht vergönnt ist –, vergeht die Zeit überhaupt nicht mehr. Einem Photon, das ausgehend von den fernsten Galaxien des von uns beobachtbaren Universums Milliarden von Lichtjahren zurückgelegt hat, um schließlich von den feinen Detektoren des James Webb Space Telescopes aufgefangen zu werden, ist es auf seiner aus unserer Perspektive gut 13 Milliarden Jahren langen Reise nicht langweilig geworden, denn aus seiner Sicht ist gar keine Zeit vergangen. (OK, Photonen kann es sowieso nicht langweilig werden, aber sie verstehen schon, was ich meine …)

Der Schatten des grünen Laserlichts, verglichen mit einem Haar (links) und den Strichen eines Lineals (rechts)

Wenn Photonen nun aber keine Masse haben, also auch nicht im Weg stehen können, und sich zudem aus unserer Sicht extrem schnell und aus ihrer eigenen sogar instantan bewegen, wie kann dann ein Photon ein anderes blockieren und so einen Schatten werfen? Tatsächlich kann es das gar nicht, und das ist auch nicht das, was im oben beschriebenen Experiment passiert ist. Auf den ersten Blick fällt ja auf, dass neben den beiden Laserstrahlen noch ein Rubinkristall im Spiel ist, in dem das Phänomen überhaupt erst entsteht, und der Verdacht liegt auf der Hand, dass dieser Kristall hier die entscheidende Rolle spielt. Ist es also bloß ein Trick?

Grünes Laserlicht hebt Elektronen im
Rubinkristall auf einen höheres
Energieniveau, von dem aus sie dann
blaues Licht stärker absorbieren.

In gewisser Weise ja. Ausschlaggebend sind die physikalischen Eigenschaften des Rubins. Dessen Kristallstruktur aus Aluminiumoxid-Molekülen ist durch Chrom-Ionen verunreinigt, die für die rote Farbe des Edelsteins verantwortlich sind. Das Licht des grünen Lasers mit einer Wellenlänge von 532 Nanometern hebt nun Elektronen im Kristall auf ein höheres Energieniveau an, auf dem sie wiederum blaues Licht mit 450 Nanometern stärker absorbieren können. Die grünen Photonen stellen sich also nicht selbst den blauen Photonen in den Weg, sondern sie sorgen dafür, dass Letztere im Kristallgitter absorbiert werden. Diese Wirkung dürfte nicht auf Rubinkristalle beschränkt sein; wie die Autoren des Papers erwähnen, könnte beispielsweise Alexandrit ähnliche Eigenschaften zeigen.

Als Nutzanwendung dieses Effekts wären „Lichtschalter“ denkbar, die selbst durch Licht betätigt werden. Während die Transistoren, aus denen Computerchips bestehen, mit elektrischen Strömen andere elektrische Ströme steuern, ließe sich die Elektrizität auch durch Licht ersetzen – ein Lichtstrahl steuert einen anderen. Falls Sie aber im nächsten StarWars-Film sehen, wie ein Lichtschwert einen Schatten wirft, dann wird kein physikalischer Effekt dahinter stehen – da hat dann nur die Postproduktion geschlampt.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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