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Juice: Auf dem Weg zum Jupiter

Die Raumsonde Juice wird erst in sieben Jahren ihr Ziel erreichen, konnte in der Nacht auf Dienstag aber schon mal bei einem Vorbeiflug am Mond ihre Kameras ausprobieren.

Live-Übertragung vom Mond (oben)

Der Jupiter Icy Moons Explorer oder kurz Juice, eine Raumsonde der europäischen Raumfahrtorganisation ESA, ist im April 2023 gestartet und soll im Juli 2031 den Jupiter erreichen, um dort vier Jahre lang dessen Monde Europa, Ganymed und Kallisto zu erforschen. Obwohl die Sonde also schon seit mehr als einem Jahr unterwegs ist, kam sie jetzt wieder zurück, um mit einem Vorbeiflug an unserem Mond und der Erde selbst den Kurs in Richtung Venus zu ändern.

Den Vorbeiflug am Mond übertrug die ESA live und zeigte dabei die jeweils neuesten von der Sonde übertragenen Bilder, die allerdings noch unbearbeitet waren und etwas Fantasie erforderten, wenn man darauf etwas erkennen wollte. Neben ihren wissenschaftlichen Instrumenten verfügt Juice über zwei Selfie-Kameras mit 1-MP-Farbsensoren, die ähnlich wie handelsübliche Action-Cams aufgebaut sind; mit ihnen haben die Mitarbeiter im Kontrollzentrum den Zustand der Sonde im Blick. Ich verfolgte die Live-Übertragung und hatte durch das Fenster auch den Mond im Gesichtsfeld (siehe Bild links). Um die Sonde mit eigenen Augen zu sehen, hätte ich ein Teleskop gebraucht, aber wegen des blendend hellen Lichts des Vollmonds wäre eine Beobachtung selbst damit schwierig gewesen.

Nun haben aktuelle Raumschiffe noch keinen Warp-Drive und können nicht mit Überlichtgeschwindigkeit durch das All fliegen, aber trotzdem erscheint eine Reisedauer von insgesamt acht Jahren doch arg lang. Warum trödelt die Raumsonde durch das Sonnensystem, kehrt zur Erde zurück und fliegt dann zur Venus, einem inneren Planeten, also erst einmal in die völlig falsche Richtung? 

Juice beim Vorbeiflug am Mond; im Hintergrund ist (hier durch den roten Kreis markiert) die dunkle Nachtseite der Erde zu sehen. Das Foto wurde mit einer der beiden Selfie-Kameras der Sonde aufgenommen.

Raumfahrzeuge können nicht so einfach auf direktem Wege von A nach B fliegen, denn dazu haben sie nicht genug Treibstoff an Bord. Sie befinden sich immer in einer Umlaufbahn um Planeten, Monde oder die Sonne, und wenn sie einen anderen Himmelskörper erreichen wollen, müssen sie ihr Orbit mit möglichst geringem Treibstoffeinsatz so verändern, dass sie dabei ihrem Ziel nahe kommen – und zwar mit der genau richtigen Geschwindigkeit, um weder mit ihm zu kollidieren noch ohne Halt vorbei zu fliegen. So lassen sich Planeten weiter außen im Sonnensystem wie Mars, Jupiter oder Saturn erreichen, aber auch die inneren Planeten Venus und Merkur. Für eine Reise zu den äußeren Planeten muss das Raumschiff gegenüber der Sonne beschleunigen, sie also schneller umkreisen, als es die Erde tut; für den Weg zu den inneren Planeten muss sie umgekehrt auf ihrer Bahn um die Sonne abbremsen.

Eine solche Hohmann-Transfer-Bahn ist relativ energieffizient, würde in vielen Fällen aber immer noch mehr Treibstoff erfordern, als man problemlos bereitstellen könnte – für die Reise von Juice zum Jupiter hat die ESA einen Verbrauch von 60 Tonnen berechnet. Die Planer unbemannter Missionen behelfen sich durchweg damit, ihre Sonden durch den Vorbeiflug an verschiedenen Himmelskörpern zusätzlichen Schwung holen zu lassen, ohne dazu das Triebwerk einschalten zu müssen. Das Ergebnis sind dann äußerst komplizierte Reiserouten; die Sonde muss einen vielfach längeren Weg zurücklegen, als das Ziel eigentlich von der Erde entfernt ist. Auch die Reisedauer verlängert sich entsprechend, aber da keine Astronauten an Bord sind, die mit Luft, Wasser und Lebensmitteln versorgt und vor Strahlung geschützt werden müssen, ist das ein tragbarer Kompromiss. Juice fliegt an Mond und Erde vorbei zur Venus, dann erneut zweimal an der Erde vorbei und erst danach tatsächlich zum Jupiter.

Juice sendete ein weiteres Selfie nach dem Vorbeiflug am Mond (Foto: ESA)
Auf den unbearbeiteten Bildern war noch nicht
viel zu erkennen (Foto: ESA)

Das Schwungholen beim Vorbeiflug an einem Himmelskörper bezeichnet man als Gravity Assist, aber der Begriff führt ein bisschen in die Irre. Die Sonde wird natürlich vom Himmelskörper angezogen und insofern durch dessen Gravitation beschleunigt; nachdem sie ihn passiert hat, bremst sie dieselbe Gravitation aber wieder ab, und am Ende wäre nichts gewonnen. Es ist nämlich gar nicht die Schwerkraft, die der Sonde den zusätzlichen Schub gibt. Man kann sich das Prinzip hinter einem Gravity Assist veranschaulichen, indem man sich einen etwas leichtfertigen Radfahrer vorstellt, der sich von einem vor ihm haltenden LKW mitziehen lassen will. Wenn der LKW anfährt, zieht er den Radfahrer mit, und bei einem Gewicht von mehreren Tonnen fallen die rund 100 Kilo für Rad und Fahrer kaum ins Gewicht; der LKW beschleunigt also fast genauso, als müsste er keine zusätzliche Last mitziehen.

Wenn eine Raumsonde durch einen Gravity Assist von einem Planeten beschleunigen soll, nähert sie sich dem Planeten auf dessen Bahn um die Sonne von hinten. Die Schwerkraft des Planeten zieht die Sonde an, aber vor allem zieht sie sie auf der Bahn des Planeten ein Stück mit, und der Planet verliert dabei ein wenig Bewegungsenergie, die die Sonde dafür gewinnt. Da die Masse des Planeten um einige Größenordnungen über der der Sonde liegt, ist die Wirkung auf beide sehr unterschiedlich: Der Planet wird durch den Energieaustausch nur unmerklich langsamer, während die Sonde erheblich beschleunigt wird.

Auf ganz ähnliche Weise kann man eine Sonde auch abbremsen. Dazu muss sie sich dem anderen Himmelskörper auf dessen Bahn von vorne nähern, so dass ein Energieaustausch in umgekehrter Richtung stattfindet. Die Sonde wird stark abgebremst, während der Planet in winzigem Ausmaß beschleunigt wird.

Dank Gravity Assists von Mond und Erde auf dem Weg zur Venus (Illustration: ESA)

Beim jüngsten Gravity-Assist-Manöver von Juice wurden beide Varianten genutzt. Der Vorbeiflug am Mond in der Nacht auf Dienstag hat die Sonde leicht beschleunigt, während sie der Vorbeiflug an der Erde in der letzten Nacht in größerem Maße abgebremst hat. Dadurch ist sie in eine engere Umlaufbahn um die Sonne abgebogen, die sie zur Venus bringen soll. Venus wird sie beim Vorbeiflug in einem Jahr erneut beschleunigen und zurück zur Erde führen, und die beiden letzten Gravity Assists durch die Erde in den Jahren 2026 und 2029 sorgen für die nötige Geschwindigkeit, um 2031 Jupiter zu erreichen. Die mehrfachen Vorbeiflüge im inneren Sonnensystem sind nur das Vorspiel für den eigentlichen Flug von der Erde zum Jupiter, der lediglich zweieinhalb Jahre dauert. Dabei kommt Juice mit 3,65 Tonnen Treibstoff aus, einschließlich der Treibstoffmenge, der für die Navigation im Jupiter-Orbit nötig sein wird.

Das Manöver erforderte eine große Präzision und war so noch nie erprobt worden. Mit Gravity Assists durch einzelne Planeten arbeitet man schon seit Jahrzehnten, aber der doppelte Assist durch Mond und Erde war eine Premiere. Hätte man sich bei den vorherigen Kurskorrekturen verrechnet, wäre die Sonde auf eine falsche Bahn geraten, und wenn sich die Mission dann überhaupt noch hätte retten lassen, wäre dazu viel Treibstoff nötig gewesen, der im späteren Verlauf gefehlt hätte, wenn Juice die verschiedenen Eismonde des Jupiter besuchen soll.

Die wissenschaftlichen Instrumente an Bord von Juice (Illustration: ESA)

Bei einer so großen Sonde wie Juice sind schon die Kurskorrekturen nicht ganz unproblematisch. Juice brachte beim Start – also voll aufgetankt – gut 6 Tonnen auf die Waage und hat mit ihren Solarpaneelen eine Spannweite von 27 Metern. Deren große Fläche von 85 Quadratmetern ist nötig, weil Juice in einer Umlaufbahn um den Jupiter arbeiten soll. Jupiter ist rund fünf mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde und das Sonnenlicht dort nur 4 Prozent so hell wie in einer Erdumlaufbahn; entsprechend größer muss die Fläche der Solarzellen bemessen sein. Missionen zu deutlich weiter entfernten Himmelskörpern wie Pluto sind nur noch mit Radionuklidbatterien zu bewältigen.

Im Zustand der Schwerelosigkeit wäre auch eine relativ filigrane Struktur stabil, aber sobald Juice ihr Triebwerk zündet, wirken starke Beschleunigungskräfte auf die Komponenten der Sonde. Ihre Solarpaneele können sich aufgrund ihrer Massenträgheit zunächst durchbiegen und üben dann ihrerseits Kräfte auf den Körper der Sonde mit seinem Raketenmotor aus, und falls er sich daraufhin leicht verdreht, würde der Schub in die falsche Richtung gehen. Ob der mitternächtliche Vorbeiflug an der Erde den gewünschten Effekt gebracht hat, werden wir im Laufe des heutigen Tages erfahren.

[Ergänzung am 21.8.2024 um 14:10 Uhr: Wie die ESA gerade gemeldet hat, war das Manöver erfolgreich und hat Juice auf den geplanten Kurs zur Venus gebracht.]

Juice beim Vorbeiflug an der Erde (Foto: ESA)

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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