KI, Kunst und Kitsch

Auf den Galerieseiten der verschiedenen KI-Systeme – hier Firefly – finden sich zahllose Kitsch-Beispiele, dieser stammt von „Stellar Energy“. Technisch und formal sind die meisten dieser Bilder nahezu perfekt. Ihre Inhalte entsprechen oft den Kriterien für menschengemachten Kitsch. Wenn von KI-Bildern die Rede ist, ist oft ihre Einschätzung als Kitsch nicht weit. Das trifft zwar für die meisten von ihnen zu, hat aber dennoch wenig zu bedeuten. Die Philosophin Dorothea Winter hat ein Buch geschrieben, in dem sie diesen Kitsch-Vorwurf zu begründen versucht. | Doc Baumann. Befassen sich Kunstwissenschaftler oder Philosophen mit KI-generierten Bildern, lauern stets zwei Gefahren: Die eine besteht darin, dass sie Bilder und Kunst gleichsetzen (so, als müsse jedes Bild automatisch ein Kunstwerk sein); die zweite, weil die meisten dieser Bilder ihren hohen Vorstellungen von Kunst nicht genügen, sie müssten mittelmäßig seien, was im Zweifelsfalle bedeutet: letztlich Kitsch. Schaut man sich die Galerien der diversen KI-Systeme an, in denen Nutzer stolz ihre Ergebnisse präsentieren, kann man diesem Urteil wenig entgegenhalten. Dazu muss man zunächst gar nicht genau definieren, was Kitsch ist – nicht einmal, ob man ihn negativ bewertet. Das allermeiste dort ist Kitsch. Allerdings Kitsch auf höchstem handwerklichen Niveau. Wir müssen nicht lange spekulieren, warum das so ist. Es gibt dafür zwei sehr einfache Gründe: Zum einen generieren die KIs, orientiert an den von uns vorgegebenen Prompts, ihre Bilder auf der Basis des verwendeten Trainingsmaterials. Und das besteht bei – nicht-fotografischen – Bildern nun einmal überwiegend nicht aus Werken von Leonardo da Vinci, Rembrandt oder Vermeer, sondern aus dem, was Menschen eben so erschaffen. Zur Einschätzung der durchschnittlichen Qualität reicht ein Besuch in vielen „Kunsthandlungen“ oder in Ausstellungen von „Künstlervereinigungen“. Zum anderen präsentieren die Web-Galerien der KI-Anbieter nur diejenigen Bilder, die Nutzer freigeben (beziehungsweise die bei günstigen Tarifen zwangsfreigegeben werden) oder die für Wettbewerbe mit Publikumsbewertung hochgeladen werden. Profis haben meist weder Lust noch Zeit, ihre Ergebnisse frei zugänglich zu machen. Außerdem kennen sie die Rechtslage und wissen, dass man ihre KI-Werke problemlos kopieren und verwenden könnte. Es ist also nicht verwunderlich, dass so zur professionellen Beurteilung überwiegend Kitsch oder Mittelmäßiges übrig bleibt. Eben deswegen, weil viele Menschen nun einmal so etwas produzieren und das keineswegs eine Besonderheit von KI ist. „Echte“ Kunst hingegen strebt – angeblich – nach höheren Werten und tieferer Bedeutung, so dass für den Rest nur die Mitte dazwischen übrig bleibt. Was ist Kitsch? In ihrem Buch „KI, Kunst und Kitsch“ gibt sich die Autorin und Philosophin Dorothea Winter keine große Mühe, zu definieren, was Kitsch ist. Es ist ja auch eine undankbare Aufgabe. Liest man ein paar Bücher oder Artikel zu dem Thema, dann wissen die Autoren zwar meist, was Kitsch ist – nur sind diese Definitionen oft uneinheitlich, zwischen ihnen sogar widersprüchlich. Während etwa Winter schreibt: „So fehlt beim Kitsch der Interpretationsspielraum, das kitschige Objekt steht nur für sich, ist nicht auslegbar und weist nicht über sich hinaus …“ (S. 40), erklärt der Publizist Harry Pross: „Die Gegenstände des privaten Kults sind fast beliebig – nicht der Gegenstand, sondern seine Bedeutung zählt.“ Wikipedia definiert knapp: „als geschmacklos empfundene kulturelle Produkte oder Gebrauchsgegenstände“, was uns aber auch nicht viel weiter bringt, weil nun geklärt werden müsste, was „geschmacklos“ ist. KI erzeugt so viel künstlichen Kitsch, weil sie mit so viel menschengemachtem Kitsch trainiert wurde. Wobei hinzukommt, dass „Kitsch“ oft elitär verwendet wird, in Abgrenzung zum vorgeblich schlechten Geschmack der anderen. Nach etlichen Definitionen gelten Barock und Rokoko als Kitsch, Spitzweg, Caspar David Friedrich oder die Präraffaeliten, Salonmalerei ohnehin, oder – gänzlich schuldlos – die „Mona Lisa“, weil sie unendlich reproduziert wurde und überall rumhängt. Vielleicht sollte man auf den Versuch einer exakten Definition ganz verzichten und mit Pross sagen: „Ob in Selbsttäuschung, ob in gutem Glauben, ob mit ,echten Gefühlen‘ oder unechten, wer will das feststellen? Ich meine deshalb auch, daß die Kitsch-Diskussion, soweit sie die Konsumenten von Kitsch betrifft, mit ,echt‘ und ,unecht‘, ,billiger‘ Rührung und ,tiefen‘ Gefühlen nicht weiterführt.“ Halten wir’s wie jener US-Richter, der erklärte, er wisse nicht genau, was Pornographie sei – er würde sie aber erkennen, wenn er welche sähe. Entstanden ist der Begriff „Kitsch“ angeblich um 1880 in München als Bezeichnung für schnell hingepfuschte Gemälde und Zeichnungen, die Touristen angedreht wurden. Die Vorlieben bei den Publikumsabstimmungen der Contests von KI-Bildgeneratoren zeigen eine deutliche Kitsch-Vorliebe. (NightCafe.ai) Die Kommentare der Challenge-Bewerter sind voll des Lobes für solche Bilder: Wunderschön, reizend, entzückend, großartig … für Kitsch in klassischer Tradition oder wie hier in zeitgenössischer Variante. Die Prompts enthalten oft nichts, was notwendig Kitsch generieren müsste. Die Resultate verdanken sich also auch dem Trainingsmaterial. Prompt für Firefly: »Weiße Schaufensterpuppen-Körperskulptur einer Frau als Gartenlandschaftsfotografie mit weißér Rose« KI-Bilder sind Kitsch. Oder? „Wie […] ist das zu beurteilen, was KI als ,Kunst‘ produziert?“, fragt Winter (S. 40). „Schließlich übersteigt der Output generierter Werke längst menschliches Schaffensvermögen. Die Antwort: als Kitsch.“ Was ist nun nach Winter Kitsch? „Kitsch sind Gartenzwerge, Nippes und das Sonnenuntergangsgemälde. Warum? Weil sie zum einen als ,Kunstobjekte‘ nur von der Betrachtendenperspektive aus gedacht werden und sich ihr ,Wert‘ aus dem Maß ihres Wohlgefallens ableitet. Der Gartenzwerg ist nichts anderes als niedlich, der Nippes nichts anderes als süß, und der Sonnenuntergang ist nichts anderes als romantisch.“ Solche Objekte bedienten „in ihrer pseudonaturalistischen Ausführung das kleinbürgerliche Fernweh nach ,Exotika‘, sie bleiben jedoch ohne interpretierbaren Sinn …“ (S. 40) Hinzu kommt, dass Winter eine eindeutige Sicht auf das hat, was Kunstwerke ausmacht, die auf Kants „Kritik der Urteilskraft“ zurückgeht. Dazu hatte sie zuvor ein weiteres Buch veröffentlicht „Warum Künstliche Intelligenz keine schöne Kunst im kantischen Sinne hervorbringen kann“ – im Gegensatz zu ihrem neuen Titel ein rein philosophischer Fachtext. Auch wenn der Bildaufbau „modern“ wirkt, ist diese KI-Umsetzung von Kants Nachdenken über den Genius der Malerei faszinierend und kreativ: »copper etching in the style of the 18 century, the philosopher Immanuel Kant thinking about the genius of painting«. Deep Dream Generator Auf ihre Argumentation dort kann ich aus Platzgründen nicht näher eingehen. Man könnte behaupten, die Frage, was Kant mit KI-Bildern zu tun hat, sei etwa so relevant wie die, warum Augustus bei der Seeschlacht von Actium keine Unterwassertorpedos eingesetzt hat. Aber das wäre unfair – ihr geht es um den Kant’schen Begriff des Künstlers als Genie und dessen Folgen. Damals war dieser Begriff zwar noch nicht so stark aufgeladen wie heute; Kant betrachtete Genie als eine besondere schöpferische Fähigkeit, die es einer Person ermöglicht, Kunstwerke von außergewöhnlicher Originalität und Bedeutung zu schaffen, wobei diese Fähigkeit sowohl frei ist als auch durch gewisse ästhetische Prinzipien eingeschränkt wird. Nun kann man diese vorgebliche Freiheit allerdings durchaus anzweifeln und in Frage stellen, ob Kant überhaupt genug Ahnung von künstlerischer Produktion hatte. Nicht nur, dass sich der überwiegende Anteil künstlerischer Arbeit auf formale und handwerkliche Aspekte bezieht –die meisten Künstler zur Zeit Kants haben wenig „in Freiheit“ produziert, sondern von Auftragsarbeiten gelebt, bei denen Thema, Ausgestaltung, Format und anderes vorgegeben wurden. Zudem waren die Bildinhalte nur verständlich, wenn sich der Maler traditioneller Symbolik bediente. Aber der Kant’sche Genie-Begriff ist hier letztlich zweitrangig, er dient Winter nur als Begründung, Kunstwerke aus der Perspektive ihrer Produzenten zu behandeln und nicht aus der der Betrachter. Zwar könne KI irgendwelche Elemente beliebig kombinieren, aber das bleibe belanglos, „weil diese Kombination ideen- und bezugslos erfolgt. Verbindet sich mit dieser Kombination jedoch eine künstlerische Aussage – und dazu ist KI eben nicht fähig –, dann wird die gleiche Objektkombination zum Kunstwerk. Es sind die sozialen, politischen oder persönlichen Bezüge, die künstlerische Aussagen manifestieren und damit die kreative Voraussetzung dafür bilden, dass [ein Werk] durchaus Anspruch erheben darf, als Kunstwerk ernstgenommen zu werden. […] KI bleibt stets eindeutig, nur Kunstschaffende beherrschen das Spiel mit der Mehrdeutigkeit.“ (S. 74) Oberflächlicher KI-Kitsch statt bedeutsamer Kunst? Winters Mehrdeutigkeit jedoch verweist nun einmal auf Betrachter, die deuten. Dies lässt sie jedoch nicht gelten: „Philosophisch betrachtet hat Kant mit seinem Kunstbegriff recht behalten: Was Kunst sein soll, kann nur aus der Perspektive des schaffenden Individuums und unter dem Aspekt der Freiheit beurteilt werden.“ (S. 68) Ich sehe es genau anders herum: Über ein Werk lässt sich (oft) nur mit Vorwissen über seine Entstehungsgeschichte sagen, ob es von einem menschlichen Produzenten oder von einer KI stammt. Als ästhetisches Objekt ist es für alle unsere Interpretationen offen. Dagegen mag das „schaffende Individuum“ in seinem Atelier was auch immer produzieren – solange es niemand sieht und interpretiert, ist es nur irgendein Gegenstand. Daher belegt ihr folgendes Beispiel meiner Meinung nach eher das Gegenteil dessen, was sie daraus folgert: „Andererseits erklärt dieser persönliche Bezug zum Kunstschaffenden unsere Enttäuschung, wenn wir bei der Autor:innenschaft hinters Licht geführt werden. Als vor einigen Jahren Kunstkritiker:innen von Affen gemalte Bilder zur Bewertung vorgelegt worden sind und diese Expert:innen die Werke nicht nur gelobt, sondern auch erklärt haben, war die Schadenfreude groß. Es macht eben doch einen Unterschied, ob ein Werk von künstlerischer Menschenhand geschaffen worden ist.“ (S. 37) Eben nicht! (Am Rande nervt mich – was die Beurteilung des Buches nicht beeinflussen sollte – diese :innen-Sprache, deren Unsinnigkeit vor allem in dem Satz zum Ausdruck kommt: „Künstler:innen wie Beethoven, Gustav Klimt oder Friedrich Dürrenmatt werden als Leuchttürme ihrer Kunstrichtung angesehen.“ (S. 31)) Wie schön, dass die Verfasserin das Argument gegen ihre Position frei Haus mitliefert! „Ein Kunstwerk ist Kunstwerk, weil es Ausdruck meines schöpferischen Wollens ist und damit zugleich mein Kunstwerk. Die Gefahr dieser absolutierten Individualität liegt in der potenziellen Missdeutung von Kunst. Ohne den individuellen Bezug bleibt das Kunstwerk möglicherweise beliebig. So sind die bekannten Filzobjekte Joseph Beuys’ zunächst einmal Ausdruck individueller traumatischer Kriegserlebnisse. Filz und Fett haben dem im russischen Winter abgeschossen Weltkriegspiloten angeblich das Leben gerettet, weil ihn Filz vor dem Erfrieren und Fett vor dem Verhungern bewahrt hat. Dieser extrem subjektive Bezug zu diesen beiden Stoffen, die zu Leitmotiven seines Schaffens geworden sind, haben heutigen Betrachtern zunächst wenig zu sagen. Erst die Transzendenz dieser Stoffe, ihre Bedeutungsausweitung ins Allgemeine des Menschseins, schaffen eine Allgemeingültigkeit, die den Beuys’schen Objekten über individuellen Bezug hinaus den Status von Kunstwerken verleihen.“ (S. 35) Klingt überzeugend – hat nur einen kleinen Haken: Beuys’ Filz-und-Fett-Erlebnis hat nie stattgefunden, er hat es sich wichtigtuerisch zusammenphantasiert. Man kann das auf Feuilleton-Art mystifizieren oder schlicht feststellen: Es war eine Lüge. (www.docma.info/23155 ) Die behauptete „Bedeutungsausweitung ins Allgemeine des Menschseins“ beruht damit auf dem irregeleiteten guten Glauben der Betrachter. Filz und Fett stehen für gar nichts, die Werke sind reiner Kitsch, da sie eine angebliche Bedeutungstiefe vorspiegeln, wo keine ist. Mit ihrem eigenen Beispiel ist der gesamte Ansatz, Kunst aus der Produzentenperspektive zu betrachten, widerlegt. Nachdem sich so die vorgebliche Freiheit als Märchen erweist, tritt notwendig das ein, was Winter vermeiden möchte: „Verzichten wir auf das Momentum der Freiheit oder wechseln gar in die Betrachterperspektive, wäre die Frage, ob KI Kunst kann, zu bejahen.“ (S. 39) Eben! Am Rande erwähnt sie dann noch etwas fast Selbstverständliches, das eigentlich jeder KI-Anwender (mit künstlerischem Anspruch) so sehen dürfte: „Das heißt, Kl als Mittel zum Kunstschaffen eröffnet neue Möglichkeiten, bleibt dabei im Grunde jedoch nichts anderes als Pinsel, Geige oder Meißel: Werkzeug. […] Das, was KI bestenfalls zu Wege bringen kann, bleibt Kitsch.“ (S. 44) Natürlich ist sie ein Werkzeug, wenn auch eines mit deutlich größerem Potenzial als das von Pinseln. Doch prompten, optimieren und auswählen tun Menschen. Deep Dream Generator, Modell AIVision, Prompt: »An extremely kitschy painting in the style of the late 19th century, Jesus Christ with a halo, a beautiful, sweet Mary Magdalene with long black hair and a lamb«. Das gewagte Kleid Marias verdankt sich wahrscheinlich den vielen Vorlagen, die sie mit der im Neuen Testament erwähnten Hure gleichsetzen. Der Kreis nicht angeforderter Köpfe im Hintergrund, wie man ihn sonst nur mit pausbäckigen Engelchen kennt, stellt wohl die Jünger dar – allerdings nur elf. Das ist dann wieder eher gnostische Tradition: Maria Magdalena als der zwölfte Jünger. Also jede Menge interpretierbarer „Bedeutungen“ … ohne irgendeine Intention der KI. Man kann Kitsch so radikal negativ sehen wie der Autor Hermann Broch, der einmal schrieb, jemand, der Kitsch herstelle, sei „nicht einer, der minderwertige Kunst erzeugt, er ist kein Nichts- oder Wenigkönner … er ist kurzerhand ein schlechter Mensch, er ist ein ethisch Verworfener, ein Verbrecher, der das radikal Böse will.“ Da KI bekanntlich keinen Willen hat, kann zumindest sie nicht das radikal Böse wollen. Aber man kann das mit dem Kitsch, KI oder nicht, auch etwas gelassener und aus anderer Warte sehen. Mit das Klügste, was dazu geschrieben wurde, stammt – wieder einmal – von Umberto Eco (1964), obwohl auch er Kitsch keineswegs schätzt:„Kitsch ist […] das Werk, das zum Zwecke der Reizstimulierung sich mit dem Gehalt fremder Erfahrungen brüstet und sich gleichwohl vorbehaltlos für Kunst ausgibt.“ Doch: „In den hochnäsigen Verdammungen des Massengeschmacks, in dem mißtrauischen Appell an eine Gemeinschaft der Kenner und Genießer, die allein in der Lage seien, die entlegenen und heimlichen Botschaften der großen Kunst […] aufzunehmen, ist kein Platz für den mittleren Konsumenten, der am Ende eines Tages von einem Buch oder einem Film einige Anregung erwartet oder erhofft […], um sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen.“ Ecos Fazit: „Es fällt dann die Verantwortung dafür, Kitsch produziert zu haben, nicht auf den Autor, sondern auf den Leser – oder auf den Kritiker, der die Botschaft mit einem Code ausstattet, der ihr eine willkürliche Interpretation auferlegt: [Die Werke als Ausdruck] eines originellen Darstellungsstils zu deuten und zu genießen.“