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Raw ist nicht gleich Raw

Schon seit ein paar Jahren kann man mit dem Smartphone auch Fotos im Raw-Format aufnehmen, aber hier gibt es durchaus unterschiedliche Formate – selbst wenn sie alle DNG heißen.

Carpaccio, Ceviche oder Sashimi – die Zubereitungen von rohem Fleisch oder Fisch sind allesamt lecker, schmecken aber durchaus unterschiedlich. Auch die Rohdatenformate, in denen Fotos gespeichert werden, unterscheiden sich, und nicht einmal Adobes universelles Raw-Format DNG hebt diese Unterschiede auf.

Raw ist nicht gleich Raw
Lightroom für Mobilgeräte kann auch Rohdaten im DNG-Format speichern.

Smartphone-Fotografen sind längst nicht mehr auf das JPEG- oder neuerdings das HEIF-Format beschränkt. Genauso wie „richtige“ Kameras können aktuelle Handys auch in einem Raw-Format speichern. Adobes Lightroom-Version für Mobilgeräte beispielsweise beinhaltet ein Aufnahmemodul, das unter Android und iOS Aufnahmen im DNG-Format unterstützt.

Davon hatte ich mir seinerzeit einiges versprochen: Natürlich würden die qualitativen Möglichkeiten der kleinen Sensoren beschränkt bleiben, aber eine optimierte Entwicklung der Bilder mit einem Raw-Konverter könnte sicherlich noch mehr herausholen, als die gewohnten JPEGs zeigten. In der Praxis erfüllte sich diese Erwartung leider nicht. Bei schlechten Lichtverhältnissen waren die JPEGs out of camera sogar regelmäßig besser als die Ergebnisse, die ich mit einer Raw-Entwicklung erzielen konnte.

Raw ist nicht gleich Raw
Apples Kamera-App speichert wahlweise im JPEG-, HEIF- oder ProRAW-Format – Letzteres ist tatsächlich ein lineares DNG.

Mit dem iPhone 12 Pro führte Apple dann sein ProRAW-Format ein, das hier eine Verbesserung bringen sollte – nämlich die gewohnte Bildqualität, kombiniert mit der Flexibilität eines Raw-Formats. Um ProRAW zu nutzen, wählt man in Apples Kamera-App am oberen Rand »RAW« aus. Gespeichert werden dann immer noch DNG-Dateien – das heißt, ProRAW ist lediglich ein Sonderfall des DNG-Formats –, aber die Ergebnisse fielen tatsächlich besser aus. Nur den erhofften Spielraum in der Raw-Entwicklung fand ich auch mit ProRAW nicht.

Um die Unterschiede zwischen den Rohdatenformaten zu zeigen, bin ich mal in den Keller gegangen, habe das Licht ausgeschaltet gelassen und mit meinem iPhone 12 Pro zunächst ein Foto mit Lightroom gemacht. Das Ergebnis ist – wie zu erwarten – stark verrauscht:

Raw ist nicht gleich Raw
Kaum Licht, und dafür viel Rauschen: Eine Aufnahme mit Lightroom auf dem iPhone 12 Pro

Ein Ausschnitt zeigt das noch besser:

Raw ist nicht gleich Raw
Ein Ausschnitt aus dem Bild oben

Die DNG-Datei enthält Rohdaten, wie sie auch eine konventionelle Kamera liefert. Für jedes Sensorpixel wird die Helligkeit im roten, grünen beziehungsweise blauen Farbkanal gespeichert, so dass der Raw-Konverter die beiden fehlenden Farben hinzuerfinden muss. In Lightroom Classic auf meinem iMac habe ich dazu das KI-basierte Demosaicing mit »Verbessern« genutzt, das gleichzeitig das Rauschen wirksam unterdrückt. Bei einer Rauschunterdrückung mit dem Wert 50 sieht es schon deutlich besser aus:

Raw ist nicht gleich Raw
Nach der Rauschunterdrückung mit »Verbessern«

Man sieht zwar immer noch Rauschen, das sich mit höheren Werten als 50 weiter reduzieren ließe, aber die Bilddetails wirkten dann allzu künstlich.

Macht es Apple mit dem ProRaw-Format nun besser? Das Ergebnis sieht so aus:

Raw ist nicht gleich Raw
Mit der Kamera-App im ProRaw-Format aufgenommen
Ein Ausschnitt aus dem Bild oben

Das Ergebnis ist etwas unschärfer, aber das Rauschen von vornherein deutlich geringer. Ein KI-basiertes Demosaicing über »Verbessern« ist allerdings nicht möglich, wenn man ProRAW verwendet.

Worin besteht nun der Unterschied, wenn doch auch ProRAW letztendlich DNG ist? Während das Lightroom-Aufnahmemodul die aus dem Sensor ausgelesenen Rohdaten direkt speichert, geht Apples Kamera-App in den ersten Schritten genauso vor, wie sie es im JPEG-Modus täte. Bei schlechten Lichtverhältnissen belichtet sie insgesamt länger, aber aufgeteilt auf mehrere kürzere Teilbelichtungen. Da diese miteinander verrechnet werden sollen, erfolgt zunächst ein Demosaicing, denn die Bilder müssen aneinander ausgerichtet werden, was nur auf der Basis vollständiger RGB-Werte möglich ist. Auf diese Weise sammelt der Sensor, so klein er auch ist, insgesamt mehr Licht, was das Rauschen reduziert. Die Aufteilung der Belichtung auf mehrere Teilbelichtungen vermindert dabei Verwacklungsunschärfen, wie sie bei einer schlichten Verlängerung der Belichtungszeit entstünden. Das Ergebnis ist ein RGB-Bild, und so wird es auch als sogenanntes lineares DNG mit 12 Bit pro Farbkanal gespeichert. Es ist ja eine Besonderheit des DNG-Formats, dass es statt unverarbeiteter Rohdaten auch RGB-Pixel als Resultat des Demosaicing enthalten kann. Solche linearen DNG-Dateien ähneln dann mehr einem TIFF als einer klassischen Raw-Datei.

Deshalb kann »Verbessern«, also das KI-basierte Demosaicing in Lightroom, seine Vorzüge nicht mehr ausspielen – bereits demosaicte Rohdaten lassen sich nicht mehr in ihren Rohzustand zurückführen und ein zweites Mal demosaicen. So ist das Rauschen in diesen Aufnahmen zwar von vornherein geringer, aber wenn man es weiter reduzieren will, muss man auf das mächtigste Werkzeug für diese Aufgabe verzichten.

Das größte Problem mit den Smartphone-Raw-Dateien ist allerdings, dass ihre Daten nicht so geschmeidig auf die Entwicklungseinstellungen reagieren, wie man es gewohnt ist. Bewährte Voreinstellungen, die ich mir in Lightroom Classic für Kleinbild- und APS-C-Aufnahmen definiert habe, liefern allzu grelle Ergebnisse bei der Anwendung auf meine iPhone-DNGs, ob nun von einer Adobe- oder einer Apple-App aufgenommen. Die mit Lightroom entstandenen DNGs enthalten zwar nominelle 16 Bit, aber die gibt der Sensor gar nicht her. Realistischerweise dürften es 12 Bit sein (wie sie auch Apple für ProRaw verspricht), die aber nicht vollständig genutzt werden. Schon geringe Änderungen an der Gradationskurve lassen das auf Kante genähte Gewebe aufplatzen. Beispielsweise trügt durchweg die Hoffnung, man könne in einen weißlichen Himmel noch etwas Blau zaubern oder schwarz zugelaufene Schatten nachträglich aufhellen – was bei größeren Sensoren kein Problem wäre, lässt das Smartphone scheitern. Genauso wie beim JPEG gilt: Was man nicht gleich sieht, steckt auch nicht drin. Auch Eingriffe in die Farbwiedergabe stoßen an diese Grenzen, denn dabei reißen zumindest in einem der drei RGB-Kanäle Lücken auf. Das gilt gleichermaßen für die DNGs von Adobe wie die von Apple.

Anders sieht es aus, wenn man in der Lightroom-App den HDR-Modus wählt, in dem unterschiedlich belichtete Aufnahmen verrechnet werden und der Dynamikumfang tatsächlich wächst. So entstandene Bilder verhalten sich bei der Entwicklung deutlich robuster. Aber irgendwas ist ja immer: Die HDR-DNGs verschließen sich wiederum dem KI-gestützten Demosaicing samt Rauschunterdrückung mit »Verbessern«.

Wohlgemerkt: Trotz dieser Enttäuschungen fotografiere ich auch weiterhin viel mit meinem iPhone (und hoffe auf das iPhone 16 Pro, dessen Kameramodule wohl noch einmal wesentliche Verbesserungen bringen werden), wenn ich keine andere Kamera dabei habe, aber ich erwarte nicht länger, dass dessen Raw-Modi viel mehr Flexibilität als die meist durchaus brauchbaren JPEGs liefern würden. Hier zum Beispiel sind ein paar zurückhaltend entwickelte ProRAW-Fotos, die ich jüngst bei einem Spaziergang entlang der Alster mit dem iPhone aufgenommen habe (nachdem ich festgestellt hatte, dass die „richtige“ Kamera in der falschen Umhängetasche lag):


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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