Was ist eine Überbelichtung?
Manche Begriffe erscheinen sonnenklar, führen in Debatten jedoch zur Verwirrung, weil jeder etwas anderes darunter versteht – und dann redet man aneinander vorbei.
Wer sich am Rande seines Studiums auch mit Philosophie beschäftigt (wie ich, der ich Informatik mit dem Nebenfach Linguistik studiert habe), lernt man etwas, das sich auch später immer wieder als nützlich erweisen wird: Bevor man sich über irgendein Thema zerstreitet, sollte man erst einmal die verwendeten Begriffe klären. Sonst argumentiert man sinnlos weiter, obwohl man sich eigentlich längst einig ist, oder man versteht nicht, worin überhaupt die Meinungsverschiedenheit besteht.
Wenn man beispielsweise darüber diskutiert, wann eine Aufnahme optimal belichtet ist und woran man das erkennt, ist viel von „Überbelichtung“ und „Unterbelichtung“ die Rede, aber diese Begriffe werden verwirrenderweise in drei unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht.
Eigentlich beziehen sie sich auf die Belichtung selbst, also das Sammeln von Licht auf dem Sensor (oder dem Film, was das betrifft), während der Verschluss geöffnet ist: Eine Aufnahme ist unterbelichtet, wenn weniger Licht gesammelt wurde, als für eine optimale Belichtung nötig wäre, und überbelichtet, wenn mehr Licht als nötig gesammelt wurde. Woran sich natürlich die Frage anschließt, was eine optimale Belichtung ausmacht.
Das Ziel der Belichtung muss es sein, alle bildwichtigen Tonwerte so zu erfassen, dass sie noch differenziert werden können. In der Digitalfotografie muss man sich dabei aus zwei Gründen auf die Lichter konzentrieren: Erstens geht die Lichterzeichnung unrettbar verloren, wenn zu viel Licht auf dem Sensor die Ladungsspeicher der Pixel überfließen lässt. Zweitens werden die Tonwerte um so besser aufgelöst, je näher man dieser Grenze kommt. Daraus ist die Regel des Expose To The Right (ETTR) hergeleitet: Belichte so, dass die hellsten bildwichtigen Lichter die Pixel gerade noch nicht überfließen lassen.
Eine ganz andere Frage ist es, wie hell ein ohne weitere Anpassungen aus den Rohdaten entwickeltes Bild (oder im analogen Fall ein Abzug des so belichteten Negativs) erscheint. Wenn man bei einem niedrigen Szenenkontrast den verfügbaren Spielraum nutzt und entsprechend reichlich belichtet, erscheint das Bild zunächst sehr hell. Deshalb ist es aber nicht überbelichtet, sondern genau richtig; man muss die Tonwerte lediglich noch im Zuge der Raw-Entwicklung anpassen. Bei einer wirklichen Überbelichtung wäre Lichterzeichnung verloren gegangen, was hier jedoch nicht passiert ist. Wenn man aber von „Überbelichtung“ und „Unterbelichtung“ nicht nur in Bezug auf die die Belichtung selbst spricht, sondern auch ein zunächst zu helles oder dunkles Bild über- beziehungsweise unterbelichtet nennt, gerät alles durcheinander.
Das gilt übrigens nicht nur für die Digitalfotografie. Negativfilm verhält sich zwar anders als ein Sensor; er reagiert auf eine Überbelichtung robuster als auf eine Unterbelichtung, weshalb man sich sinnvollerweise an die Regel Expose To The Left hält, aber am Prinzip hat sich nichts geändert: In der Silberhalogenidfotografie sorgt man sich bei Belichtung und Filmentwicklung vor allem um die Schatten und kümmert sich erst bei der Vergrößerung um die Lichter; in der Digitalfotografie belichtet man auf die Lichter und baut darauf, dass man sich um die Schatten auch noch im Raw-Konverter sorgen kann.
Zu allem Überfluss gibt es noch eine dritte und ebenso irreführende Art, in der die Begriffe rund um die Belichtung gebraucht werden, indem man sie nämlich nicht (wie oben) absolut, sondern relativ gebraucht. Wer eine Belichtung mit einem positiven EV-Wert korrigiert, spricht von einer „Überbelichtung“, obwohl die Aufnahme damit vielleicht gerade richtig belichtet wird, also am Ende gar nicht überbelichtet ist. Entsprechendes gilt für die Belichtungskorrektur mit einem negativen EV-Wert, die nicht zwingend eine Unterbelichtung bewirken muss. Aus gutem Grund verwende ich die Begriffe „Überbelichtung“ und „Unterbelichtung“ nie relativ, sondern spreche präziser und korrekter von einer reichlicheren (positive Belichtungskorrektur) oder knapperen (negative Belichtungskorrektur) Belichtung. Dabei können sich die Vergleichsformen „reichlicher“ und „knapper“ auf die von der Automatik gewählten Werte beziehen, oder bei einer manuellen Belichtung auf die Blende und Verschlusszeit, die man zuletzt selbst eingestellt hatte.
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Ich belichte nach der ETTR Regel. Bei der Bearbeitung in Lightroom stelle ich immer wieder fest, dass auf dem Kameradisplay als überbelichtet gekennzeichnete Bereiche sich ohne Verlust an Zeichnung „retten lassen“. Bei m einer EOS R liegt der Spielraum bei +1 bis 1,5 Blenden.
Gibt es eine Möglichkeit schon während der Aufnahme genauer zu bestimmen, ab wann Lichter ausgefressen werden?
mfg
Peter
Eigentlich erfordert das eine Anzeige, die sich an den Raw-Daten orientiert, beispielsweise ein Raw-basiertes Histogramm (https://www.docma.info/blog/wie-funktioniert-ein-raw-basiertes-histogramm). Leider bieten die Kamerahersteller das nicht an. Die Live-Histogrammanzeige und die verschiedenen Überbelichtungswarnungen beziehen sich auf das bereits on-the-fly entwickelte Sucherbild, und der rechte Hand des Histogramms ist daher nicht der echte rechte Rand, an dem die Tonwertdifferenzierung wirklich endet. Der liegt noch ein Stück weiter rechts, was man aber erst im Raw-Konverter sieht.
Um sicherzugehen, dass man wirklich ETTR praktiziert, muss man im manuellen Modus die Belichtungssimulation einschalten, damit die Kamera das Sucherbild nicht künstlich aufhellt, während das dann aufgenommene Bild dunkler ausfällt, und man muss im Menü einen möglichst geringen Kontrast und eine moderate Sättigung einstellen, damit keine Lichter abgeschnitten werden. Auch ein Log-Modus ist hier nützlich. Die JPEGs erscheinen dann natürlich flau, aber wenn man sowieso einen Raw-Workflow verwendet, kann einem das egal sein. Zur Sicherheit prüft man, wie viel Potential zur Lichterwiederherstellung es danach immer noch gibt, wie nahe man der echten Grenze des Belichtungsspielraums also gekommen ist.