Freude am Prozess

Eine freie Artdirektorin hat eine Masterarbeit über das Thema „KI in der Kreativwirtschaft“ geschrieben. Christoph Künne traf sie in Zürich, um mit ihr über die Veränderungen in der Arbeitswelt der Kreativen zu sprechen. DOCMA: Was hat sich in der Kreativbranche so sehr verändert, dass Du beschlossen hast, Dich noch einmal zur Weiterbildung in einen Hörsaal zu setzen? Zunächst war ich neugierig und brauchte nach 20 Jahren Werbung nochmal etwas Abwechslung. Und dann war da natürlich auch die Frage, wie Digitalisierung und Automatisierung auf die Kreativbranche wirken. Die Veränderung habe ich ja selbst miterlebt. Früher waren in der Werbung die Aufgaben verteilt. Die Kunden brieften; die Kreativen dachten sich die Kampagnen aus. Es gab mehr Vertrauen in die Arbeit der Agenturen und deren fachliche Kompetenz. Heute will der Kunde in den gesamten Prozess mit einbezogen werden. Was bei der Entwicklung von Produkten oder Services Sinn macht, führt in der Kommunikation leider oft zu seichteren Lösungen. Zudem leben wir mittlerweile im „Age of Amateur“. Durch die Digitalisierung sind etliche Arbeitsprozesse und Aufgaben standardisiert und systematisiert worden. Das bildet die Grundlage für viele smarte Automatisierungstools, die auch von Laien einfach bedient werden können. Im Foto- und Filmbereich sehen wir diese Entwicklung ja bereits seit Jahren. DOCMA: Verstärken die neuen KI-Tools den Trend noch? Natürlich. Wir sehen bereits jetzt eine Schwemme von KI-Content, vor allem in den sozialen Medien. Das wird in Zukunft weiter zunehmen, wenn immer mehr Menschen KI-Tools ganz selbstverständlich nutzen. Diese KI-Bilderflut wird das Internet überschwemmen und uns auf Dauer ermüden. DOCMA: Du meinst also, die Leute laden statt einiger Smartphone-Fotos bald vor allem KI-Bilder hoch und lassen sich ihre Posts von ChatGPT schreiben? Der Mensch ist grundsätzlich eher faul, daher werden ChatGPT und Co. sicherlich hier und da zum Einsatz kommen. Aber die Leute haben auch Spaß am Machen und wollen natürlich stolz ihre eigenen KI-Bilder zeigen. Die Hauptzielgruppe von Midjourney sind übrigens nicht die professionellen Kreativen, sondern die ganz normalen Menschen da draußen – Hausfrauen, die gerne Katzenbilder posten. Das sagt Midjourney-Gründer David Holz in Interviews selbst. Midjourney legt großen Wert auf den ästhetischen Output ihrer Modelle. Von Anfang an entwickelten sie ihre Modelle als Werkzeuge, mit denen auch Normalsterbliche ihre kreative Seite ausleben können. Es geht also weniger um den einzigartigen künstlerischen Wert als um den ideellen. Bankerinnen oder LKW-Fahrer können nun auch ohne künstlerische Vorbildung ansprechende Bilder entwerfen. Bei Stable Diffusion merkte man den Ergebnissen zu Beginn einfach an, dass da Programmierer und keine Gestalter am Werk waren. Mittlerweile können die neuen Modelle qualitativ mit Midjourney mithalten und bieten dank Open Source oft sogar mehr Möglichkeiten. DOCMA: Wie siehst Du die Zukunft des Promptens? Laut Midjourney können Ältere besser prompten, ganz einfach, weil sie mehr erlebt und somit auch einen größeren Wortschatz zu Verfügung haben. Jüngere Menschen mixen lieber Bilder – vermutlich, weil ihre Welt eher aus visuellen als aus kognitiven Eindrücken besteht – eine klassisch kulturelle Prägung (lacht). Und wenn dann doch noch Wörter ins Spiel kommen, arbeiten sie vor allem mit Stichworten, Markennamen oder denen von Künstlern. Dabei geht es oft weniger um das Kopieren eines spezifischen Künstlers als darum, einen Shortcut zu einer bestimmten visuellen Welt zu haben, für die einem die Begrifflichkeiten fehlen. Die neuen Modelle haben bereits ein besseres Sprachverständnis und können auch längere Prompts mit vielen Details umsetzen. Deshalb werden wohl viele Menschen auf ChatGPT und Co zurückgreifen, um Prompt-Ideen auszuformulieren. In Zukunft gestalten wir vielleicht Bilder in Echtzeit in einem virtuellen dreidimensionalen Raum, in dem wir regelrecht in die Bildästhetiken eintauchen können. Ein Prompt-Text ist dann nur noch der Startpunkt eines Kreativprozesses. Die Details verfeinern wir durch Ein- oder Auszoomen und Swipen. Die Worte werden also zu Richtungsgebern und die Details der Bilder erarbeitet man sich quasi visuell. DOCMA: Wird es dann noch ein Kreativsein geben, wie wir es heute kennen? Ich denke, vor allem der Prozess des Kreativseins, des eigentlichen Machens, wird die Leute begeistern, weniger das finale Ergebnis selbst. Das gleiche gilt bereits heute für kreative Hobbies wie Stricken, Malen, Töpfern, Fotografieren oder das Schreiben von Texten. Der Reiz liegt im Selbermachen. Wo es nur auf möglichst billigen Output ankommt, wird die KI übernehmen. DOCMA: Aber warum sollten die Menschen Dinge produzieren, die sie gar nicht weiter nutzen? Weil sie gerne kreativ sind, sich mit Dingen auseinandersetzen, mit Werkzeugen arbeiten oder Maschinen nutzen. Es geht um das Erlebnis. Wir sind auf der Suche nach dem kreativen Flow, diesem Gefühl, wenn ich mich in eine Tätigkeit mental so vertiefe, dass ich die Zeit und die Ablenkungen um mich herum vergesse. Und dann darf man auch nicht außer Acht lassen: Es geht auch um Selbstdarstellung. Millionen von Social-Media-Accounts zeigen, wie wichtig es ist, der Welt zu beweisen, dass man in seiner Freizeit kreative Dinge tut. DOCMA: Und wie spielen KI-Tools in die analoge Welt hinein? Zunächst eröffnet uns Bild-KI eine neue Form von kreativen Prozessen. Durch die Limitierungen der Technologie ergeben sich unerwartete Möglichkeiten. Es ist viel Zufall mit im Spiel. Wir sollten uns auf diese Serendipität einlassen und sie schätzen lernen. Schließlich entdeckt man so vielleicht etwas, auf das man selbst nie gekommen wäre. Es ist ein bisschen wie zu Beginn des Internets, als die Leute sich stundenlang von einem Link zum nächsten treiben ließen. Ich empfehle, KI-Ergebnisse auch wieder in die analoge Welt zurückzubringen. Da entfalten sie doch nochmal eine andere Kraft. Und man produziert nicht nur Bilder, sondern reflektiert seine Arbeit im Auswahlprozess. Welches Motiv ist wirklich so gut, dass ich es mir als Bild an die Wand hängen möchte? DOCMA: Was bedeutet die Entwicklung für Berufskreative? Kreativität als Hauptberuf ist doch noch mal anspruchsvoller als reines Bilder-Prompten nach Lust und Laune. Da geht es um Auftragsarbeiten, Problemfindung und -lösung und Kommunikation. Das kommunikative Grundrauschen auf allen Kanälen steigt, gleichzeitig ist unsere Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource. Der Druck auf die Kreativprofis wird steigen, sie müssen am Ball bleiben, neuen Entwicklungen offen gegenübertreten, immer dazulernen und weiterhin durch Qualität überzeugen. Wer stehen bleibt, wird abgehängt. Das erhöht nicht nur den fachlichen, sondern auch den mentalen Druck. Menschliche Kontakte, gute Freunde und Netzwerke sind hier enorm wichtig und hilfreich. Im Beruf wird es vermutlich viele „visuelle Remixer“ geben – Kreativ-Schaffende, die dank ihres fachlichen Wissens sowie ihres Gespürs für menschliche Kultur gemeinsam mit Maschinen Neues entstehen lassen – ähnlich wie heute Musik-DJs, die ja oft keine Komponisten oder Virtuosen sind. DOCMA: Wie sieht Deine berufliche Zukunft in der KI-Welt aus? Hui, das ist noch schwierig zu sagen. Bisher ist es noch nicht langweilig. Aktuell bin ich KI-Scout im Bereich Trend-Research, gebe viele Weiterbildungskurse für Kreative, arbeite ganz klassisch als Freelance-Art-Directorin für Agenturen und werde als AI-Art-Directorin von der Agentur „yesweprompt“ vertreten. DOCMA: Welche Art von Projekten übernimmst Du dort? Wegen der ungeklärten Rechtslage bei den meisten Tools kommt KI vor allem zu Beginn eines Kreativprozesses für interne Zwecke zum Einsatz, veröffentlicht wird kaum etwas davon. Meist erarbeite ich mögliche visuelle Richtungen – Style-Explorationen, Look-Development, Mood-Boards oder Style-Frames für 3D-Projekte. Bei meiner persönlichen künstlerischen Arbeit mit KI bin ich in abstrakten Welten unterwegs. Mich interessiert weniger das Nachprompten eines Fotostils als das Finden neuer, ungesehener visueller Konzepte.