Ist KI kreativ?

Wer den vermeintlichen Segnungen der künstlichen Intelligenz skeptisch gegenübersteht, bezweifelt oft auch das kreative Potenzial der neuen Technologie. Christoph Künne geht der Frage nach, wie kreativ KI überhaupt sein kann. Gemeinhin versteht man unter Kreativität die Fähigkeit, etwas Originelles oder gar Neues zu erschaffen. Nach dem „Cambridge Handbook of Creativity“, das sich auf wissenschaftlicher Basis mit diesem Thema befasst, liegt die Skala einer Kreativ-Leistung irgendwo zwischen alltäglicher und außergewöhnlicher Kreativität. Alltäglich wäre es danach, den eigenen Garten umzugestalten oder beim Kochen zu improvisieren, wenn eine Zutat fehlt. Kreativität muss also nicht unbedingt künstlerisch sein, sie kann auch andere Bereiche betreffen wie Technik, Zwischenmenschliches oder etwas vermeintlich Unkreatives wie Buchhaltung. Außergewöhnliche Kreativität liegt auf der Ebene des Genialen, also etwa bahnbrechende Problemlösungen zu erdenken. Oder zum Beispiel in der Kunst die Erfindung der abstrakten Malerei. Sie entstand in der Zeit nach 1910 durch Künstler wie Wassily Kandinsky, Piet Mondrian oder Kasimir Malewitsch, dem radikalsten Vertreter unter ihnen, der das berühmte Schwarze Quadrat malte. Dass Kreativität an Rahmenbedingungen gebunden ist, wird schnell klar; etwa wenn ich heute auf die Idee käme, ein schwarzes Quadrat als Kunstwerk zu malen. Das wäre keineswegs kreativ, sondern nur ein künstlerisches Zitat und damit bestenfalls Ausweis meiner Kennerschaft. Denn das Schwarze Quadrat wurde bereits vor über 100 Jahren gemalt und gehört seither zum Kanon der kunstgeschichtlich zentralen Werke. Nun könnte ich natürlich behaupten, ich hätte mein schwarzes Quadrat als Symbol der Abstraktion gemalt, ohne das von Malewitsch vorher gekannt zu haben. Wäre das dann auch eine außerordentlich kreative Leistung? Eher nicht, denn irgendwo werde ich in meinem Leben in der modernen Welt – bewusst oder unbewusst – über abstrakte Bilder oder sogar dieses Werk gestolpert sein. Das ist jetzt auch der Punkt, an dem die Verbindung zur KI ansetzt. Generative KI wird mit Milliarden von Bildern trainiert, ganz ähnlich dem menschlichen Gehirn. Nur dass die KI mehr Bilder in kürzerer Zeit gezielter verarbeitet. Vermenschlicht betrachtet, wird dabei eine große Menge an Erinnerungen auf Muster und Strukturen untersucht und dann in abstrahierter Form in Umsetzungsoptionen umgewandelt. Wenn die KI auf eine Prompt-Eingabe hin ein Bild generiert, ist das also keine Kopie eines Trainingsbildes oder die Kombination von Versatzstücken. Vielmehr handelt es sich um eine per Zufall entstandene bildliche Umsetzung des Prompt-Textes auf der Basis verdichteter Bilderinnerungen. Vergleichbar der Aufgabenstellung eines Kreativen, ein Bild mit einem bestimmten Thema zu erschaffen. Er – oder natürlich auch sie – wird sich dann in den Farben, den Formen und dem Ausdruck an Erinnerungen, Erfahrungen und Gesehenem an ihm oder ihr bekannten Bildern orientieren. Als Ergebnis entsteht etwas, das den im Lauf des Lebens gesehenen Bildern ähnlich ist. Im Grunde also eine Vermischung unbewusster Zitate. Aber das macht eine KI letztlich genauso. Ist sie also auch kreativ? Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Vielleicht kann man aber einen Kompromiss finden: Alltägliche Kreativität kann KI zweifellos entwickeln, außergewöhnliche Kreativität erfordert allerdings mehr als die Fähigkeit, Bekanntes neu zu kombinieren. Vermutlich lässt sich am Grad der Kreativität die Entwicklung der KI ablesen. Aber das sollte man besser wissenschaftlich untersuchen. Munter bleiben!

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