Meta Wayfarer: Mit der Brille reden
In Deutschland ist sie noch nicht zu bekommen, aber in den USA und Großbritannien kann man sich bereits von seiner „smarten“ Brille erklären lassen, was man gerade sieht.
Die Industrie versucht ja schon seit längerer Zeit mit aller Macht, uns Smartglasses, also computerisierte Brillen aufzuschwatzen. Vor 12 Jahren war Google Glass der Hype du jour, ein Augmented-Reality-Interface mit Kamera und in das Sichtfeld eingespiegeltem Display, das allerdings keine echte Brille war, sondern nur so ähnlich aussah. Weil viele Leute aggressiv darauf reagierten, wenn sie ungefragt mit der „Brille“ gefilmt wurden, und deren Träger nicht nur als „Glassholes“ verunglimpften, sondern ihnen manchmal wohl auch Prügel androhten, ließ Google das Produkt schnell in der Versenkung verschwinden.
Apples im vergangenen Jahr vorgestellte aber noch immer nicht verfügbare Vision Pro ist im Gegensatz zu Google Glass ein regelrechter Computer, der einen von der Umwelt abschirmt – die von den Kameras der Brille aufgenommenen Bilder werden in die Augen eingespiegelt und können im Augmented-Reality-Stil ergänzt werden. Wenn das Gegenüber die Augen des Vision-Pro-Trägers zu sehen meint, ist das auch wieder nur ein Displaybild. So viel Hardware lastet entsprechend schwer auf dem Kopf, und trotz des hohen Gewichts ist die Batterielaufzeit arg beschränkt. Immerhin wird der Kauf den Geldbeutel entlasten: Rund 3500 USD will Apple für eine Vision Pro aufrufen.
Die Smartglasses des Facebook/Instagram-Mutterkonzerns Meta sind dagegen recht schlicht gehalten und mit rund 300 USD vergleichsweise erschwinglich – bislang aber nur in den USA, Kanada und Großbritannien erhältlich. Auf den ersten Blick sind sie tatsächlich nicht von einer regulären Sonnenbrille zu unterscheiden, genauer gesagt einer Ray-Ban Wayfarer, die dem Produkt zugrunde liegt. Metas smarte Variante hat darüber hinaus einen in den Bügel integrierten Qualcomm-Prozessor, eine kaum zu erkennende Kamera sowie Lautsprecher und Mikrofone. Ein Display gibt es nicht, weshalb man auf Augmented-Reality-Funktionen verzichten muss.
Mit der ersten Version konnte man nur Videos aufnehmen und zur Unterhaltung seiner Freunde auf Instagram live streamen; daneben ließ sich die Brille als Headset für das Smartphone nutzen. Inzwischen ist aber die schon bei der Einführung angekündigte „smarte“ Software in einer Betaversion verfügbar, wie CNET berichtet. Mit der „intelligenten“ Software kann man reden und der Brille mit „Hey, Meta, look and …“ Fragen zu allem stellen, das man gerade anschaut. Beispielsweise kann man sich eine Speisekarte in einer fremden Sprache übersetzen oder eine Pflanze identifizieren lassen. Meta bezeichnet die Brille als „multimodal“, was nur bedeutet, dass mit der integrierten Kamera aufgenommene Bilder analysiert werden, während das Interface auf Spracherkennung und -erzeugung basiert. Es ist aber beispielsweise keine Simultanübersetzung gesprochener Sprache vorgesehen, wie sie in einem Urlaub im fremdsprachlichen Ausland nützlich wäre.
Wer mit seiner Meta-Brille redet, wirkt vermutlich kaum wunderlicher als jemand, der scheinbar Selbstgespräche führt, tatsächlich aber über seine Bluetooth-Ohrstöpsel telefoniert, woran wir uns ja längst gewöhnt haben. Immerhin bleibt einem der seltsame Tanz zu einer unhörbaren Musik erspart, den ein Träger der Apple Vision Pro aufführen muss, um mit seiner für alle anderen unsichtbaren Computerschnittstelle zu interagieren. Das Konzept des „unsichtbaren Freundes“, wie ihn (nicht nur) manche Kinder haben, wird man vielleicht überdenken müssen, falls wir künftig mit KI-getriebenen unsichtbaren Freunden kommunizieren sollten. Und was wird uns auch übrig bleiben, nachdem die echten Freunde, genervt davon, ständig im Bildfeld unserer Kamerabrille zu sein, alle verschwunden sind. Denn das war ja schon vor einem Jahrzehnt das Schicksal der „Glassholes“.
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