KI und Kafkas Träume

Wie hat sich Bild-KI-Kunst entwickelt? Welche Bedeutung haben dabei noch Originalität und Urheberschaft? Wie ist das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine? Das Buch „KI-Kunst“ von Merzmensch (Vlad Alexeev) geht diesen Fragen nach. Wie er dort schreibt, hat ihn besonders die kreative Umsetzung seines Prompts „Franz Kafkas Träume“ sehr beeindruckt. | Doc Baumann Nein, in dem Buch „KI-Kunst“ geht es nicht zentral um Kafkas Träume. Allerdings gibt es dort eine Schlüsselpassage, wo Merzmensch (der Künstlername von Vlad Alexeev) schreibt, er habe vermutet, dass zum Trainingsmaterial von DALL·E 2 auch literarische Werke gehörten. „Und so lautete mein Prompt: »Dreams of Franz Kafka«. Würde das System ein Porträt des schlafenden Schriftstellers erstellen? Oder würde DALL·E 2 vielleicht ,Die Verwandlung‘ illustrieren? Nichts dergleichen. Eine junge Frau geht an einem sonnigen Tag spazieren. Blauer Himmel und grüne Wiesen lassen eine heitere Sommerstimmung aufkommen. Doch die Protagonistin quert zielstrebig den Weg, anstatt ihm zu folgen. Und ihr Sonnenschirm strahlt eine sich verbreitende Dunkelheit aus, nach links wird das ganze Bild schwarz. Farbgebung, Dynamik und Motiv sind in 30 Sekunden Arbeit entstanden – aber genau dieses Gefühl der unerbittlichen Absurdität, selbst an einem sonnigen Tag, lässt sich als die Essenz von Kafkas Werken definieren.“ „,Überinterpretation!‘ – ließe sich einwenden“, ergänzt Merzmensch. „Aber trifft das nicht auf viele herkömmliche Interpretationen von Kunstwerken zu? Und zählt letztlich nicht das, was ein Bild bei einer Betrachterin auslöst?“ So ist es! Auch. Autor Merzmensch ließ seinen Prompt »Dreams of Franz Kafka« noch mit DALL·E 2 generieren (oben links). Die originelle Umsetzung ist faszinierend, die Bilddetails sind es weniger. Die anderen KI-Bilder stammen von Doc Baumann, mit demselben Prompt und anderen KI-Systemen. Beim Bild oben rechts wurde allerdings als Prompt für Firefly eine Beschreibung des linken Bildes verwendet. Die DALL·E 3-Lösung des Kafka-Porträts auf der Seite gegenüber ist insofern bemerkenswert, als das Insekt nicht über Kafkas Gesicht kriecht, sondern über sein – sogar leicht verkratztes – Foto-Porträt. Firefly könnte ein solches Porträt übrigens nicht generieren, da historische Gestalten kaum zu seinem Trainingsmaterial gehören. Es ist nicht alles Gold, was glänzt Um es gleich vorauszuschicken, weil das bei der Rezension eines Buches keineswegs selbstverständlich ist: Den allermeisten Ausführungen des Verfassers kann ich uneingeschränkt zustimmen. Und damit bezieht sich die Zeile mit dem Gold auch nicht auf seinen Band „KI-Kunst“, sondern auf die von ihm so genannte KI-Kunst selbst. Meine Bedenken können Sie in der Interview-Spalte rechts nachlesen. Seine Antwort stellt mich nicht völlig zufrieden. Dazu muss man die Ausführungen von Beuys’ zu „Jeder ist ein Künstler“ nicht genauer kennen (ich kenne ihn aus Diskussionen in meiner Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie und von der documenta). Wäre tatsächlich „alles“ Kunst, wäre der Begriff bedeutungsleer, da er sich nicht gegen Nicht-Kunst abgrenzen ließe. Merzmensch versteht KI als künstlerisches Werkzeug. Teilweise einverstanden. Aber wie fassen wir dann KI-Bilder, die fast ohne Prompt auskommen und mitunter zu Resultaten führen, die man nach herkömmlichen Maßstäben ohne weiteres als Kunstwerke bewerten würde? Wenn ich schreibe, dass nicht alles Gold sei, was glänzt, meine ich, dass – nicht nur von Merzmensch – der Kunstbegriff (zur wirtschaftlichen Lage passend) allzu inflationär gebraucht wird; „Bilder“ reicht eigentlich aus. Anders als beim „Schirm“-Beispiel versucht KI fast immer, Kafkas Gesicht zu integrieren. Häufig taucht der Käfer aus „Die Verwandlung“ auf. KI – Werkzeug oder Partner auf Augenhöhe? Wenn nun aber KI (auch) Bilder hervorbringt, die als Kunstwerke verstanden (zumindest einer unterstellten Bedeutung oder gar Absicht wegen wie solche interpretiert) werden können, wird bei ihrer Betrachtung und Bewertung die Rolle der Produzenten unwichtiger. Und da man ohne Hintergrund- und Entstehungswissen nie sicher sein kann, mit welcher Art von Bildern man es zu tun hat, färbt das unvermeidlich auch auf menschengemachte Bilder ab. Merzmensch dazu: „Bei KI-generierten Werken spielt die menschliche Intention in der Genese oft eine viel geringere Rolle, die Interpretation des Betrachters dafür umso mehr. Wie auch Refik Anadol erkannte, entsteht das „Moment der Kunst“ in Bezug auf KI erst durch die Betrachtung, durch die Rezeption – im Dialog mit dem Kunstwerk.“ Vielleicht wird ja der Begriff „Werkzeug“ überstrapaziert, wenn man erwartet, er solle alles, vom Faustkeil bis zur KI, abdecken. Und womöglich dann auch der Begriff „Kunst“. Oder im weitesten Sinne: alles, was mit einer bestimmten Absicht dargestellt wird. Um im Bereich der Bilder zu bleiben, ob nun Kunstwerke oder nicht: Wie Merzmensch schreibt, werden ihre Produktionsbedingungen unwichtiger und ihre Rezeption wichtiger. Ein menschlicher Produzent hat in der Regel eine (Kommunikations-)Absicht und im Idealfalle kann er für jedes einzelne Bildelement einen Grund angeben, warum es dort und gerade dort ist. Die Illustrationen dieses Beitrages gehen auf den einen schlichten Prompt »Kafkas Träume« zurück. Dennoch sind sie völlig unterschiedlich. Wir können die Person, die den Prompt formuliert hat, nicht sinnvoll fragen, warum zum Beispiel die Insekten um Kafkas Kopf spiegelsymmetrisch angeordnet sind oder warum der kafkaköpfige Käfer auf einem Felsplateau sitzt. Und von der KI werden wir es erst recht nicht erfahren. Eine Umsetzung wie die auf der Seite zuvor, die Merzmensch so fasziniert hat – und in der Kafka gar nicht vorkommt , sondern ein in sommerlicher Umgebung Finsternis ausdünstender Schirm –, dürfen wir durchaus als „kreativ“ oder „originell“ verstehen. Aber es gibt keine im Prompt verborgene Intention, die zu diesem Ergebnis führt. Aus der Perspektive des Entstehens wissen wir einfach nicht, warum da ein Schirm auftaucht, eine einsame Gestalt auf einer Straße oder ein seltsamer Fischschwarm. Aus der Perspektive des Betrachtens dagegen dürfen wir die Bilder so interpretieren, als ob das Dargestellte eine Bedeutung hätte – die Komposition insgesamt und jedes einzelne Element. Allerdings würde ich es trotz faszinierender Ergebnisse für zu gewagt halten, der KI deswegen wirklich Kreativität zuzusprechen und das „Werkzeug“ KI als Partner auf Augenhöhe zu betrachten. Von daher habe ich meine Probleme mit der von Merzmensch postulierten „post-anthropozentrischen Kreativität“: „Die Maschine soll nicht anthropomorphisiert werden, vielmehr soll der Mensch deanthropomorphisiert und seine Selbstbezogenheit hinterfragt werden.“ Lieber nicht! Sollten die neuronalen Netze allerdings eines Tages wirklich so etwas wie Bewusstsein entwickeln … warten wir’s ab. Auch die Aspekte Einsamkeit und Isolation von Kafkas Protagonisten gehören offenbar zu dem aus dem KI-Trainingsmaterial Ableitbaren. Geschichte und Theorie der KI-Kunst Ein großer Teil des Buches befasst sich mit der Geschichte der KI-Kunst (wobei ich, wie erwähnt, starke Zweifel anmelde, ob alles dort Beschriebene tatsächlich unter „Kunst“ fällt). Diese jahrzehntelange Entwicklung in einem schmalen Bändchen unterbringen zu müssen, hat den Vorzug, dass man sich so schnell und komprimiert einen Überblick verschaffen kann. Der andere Teil dreht sich um kunsttheoretische Positionen und Kontroversen, von denen ich hier einige herausgegriffen habe. Ohne mit allem einverstanden sein zu müssen, lernt man hier viele Sichtweisen kennen. Abschließend wollte ich vom Verfasser noch erfahren, ob heute eigentlich noch jemand sein Pseudonym „Merz-mensch“ richtig versteht? Oder denken da alle, das bezöge sich auf den Herrn mit der unsäglichen Zahnersatz-für-Aslybewerber-Propaganda? „Ich habe dieses Pseudonym seit Jahrzehnten und freue mich über alle, die hierin den Bezug zu MERZ-Künstler Kurt Schwitters erkennen - und da ich ständig im künstlerisch-kulturellen Kontext unterwegs bin, sind es da die meisten. Dass irgendein Politiker oder eine Pharmafirma zufälligerweise Gleichklang mit meinem Künstlernamen hat – das ist mir herzlichst egal.“ Beim Rezensieren eines Buches hat man ja selten die Möglichkeit, den Verfasser danach zu fragen, wie er dies oder jenes gemeint hat, ob er eine Position nur zitiert oder selbst vertritt. In diesem Fall war das durch ein Interview mit Merzmensch möglich. DOCMA: Sie zitieren Harold Cohens Antwort auf Zweifel an seinen KI-Werken: „Wenn das, was AARON macht siehe DOCMA 105, Seite 84, keine Kunst ist, was ist es dann genau, und worin unterscheidet es sich, abgesehen von seiner Herkunft, von „echter“ Kunst‘?“ Sind das nicht erst mal nur Bilder, jene auf den Galerieseiten der KI-Systeme überwiegend Kitsch (ich habe nichts gegen Kitsch), und ob da auch ein paar Kunstwerke drunter sind, ist erst mal eine offene Frage. Womit ich keineswegs leugne, dass etliche KI-Werke als Kunst rezipiert werden können. MERZMENSCH: Dem kann ich nur zustimmen, was den „Kitsch-Touches“ vieler KI-erzeugter Bilder betrifft. Ich befürworte zwar die Tendenzen von Duchamp und Beuys „Vergesst die Museen, macht es selbst“ und „Alles ist Kunst“, also ein wirklich weit gefasstes Kunstverständnis, losgelöst von traditionellen Vorstellungen „Kunst ist, was es ins Museum geschafft hat“. Serielles auf Knopfdruck ist mir aber auch zu wenig Kunst. Vieles, was KI generiert, ist eher noch Experiment. Wichtig, aber noch nicht ausreichend, um als Kunst zu gelten. Es kommt auf die menschliche Intention, Beteiligung und Präsentation an. Jede Kunst ist Menschenkunst, auch KI-Kunst. Also, KI-Kunst, wie ich sie verstehe, ist der bewusste Einsatz von KI-Werkzeugen zum Selbstausdruck, zur Verwirklichung künstlerischer Visionen, zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der Realität (und wenn in diesem Zusammenhang auch Kitsch durchschimmert, sei’s drum), Primitivisten und Surrealisten haben oft mit Kitsch gespielt. Um KI-Kunst zu sehen, reicht es nicht, KI-Plattformen zu durchstöbern – man muss in KI-Künstlergruppen gehen und KI-Kunst-Initiativen und -Projekte verfolgen. DOCMA: Sie schreiben: „Wenige Wochen nach der Proklamation des zensurfreien Modells mussten die Nutzerinnen gebeten werden, die Eingaben pornographischer Prompts zu unterlassen. Aber Open Source unterliegt keiner Kontrolle. Mit einem großen Update auf ,Stable Diffusion 2.0‘ wurde immerhin etwas gegen Missbrauch unternommen. So wurden ,unpassende Inhalte‘ (NSFW,„not safe for work“) aus dem Modell entfernt, damit ,Stable Diffusion‘ entsprechenden Prompts nicht folgt und keine Nacktbilder und Kinderpornographie reproduziert. Der Schritt wurde in Teilen der Community kritisiert, weil ein Open-Source-Modell an solchen Inhalten jederzeit nachtrainiert werden kann.“ Ich höre eigentlich nur Kritik daran, dass viele Motive nicht generiert werden. Sind Sie selbst auch der Meinung, es bedürfe dieser Einschränkungen? Warum soll, wer möchte, keine pornographischen Bilder generieren, und wieso setzen Sie „Nacktheit und Kinderpornographie“ gleich? Nach dieser Vorgabe müsste man ein Drittel der in den Museen ausgestellten Gemälde und Skulpturen ins Depot verbannen. MERZMENSCH: Die hier zitierte Kritik kommt aus den Reihen der KI-Community (oft aus den USA und oft prüde). Wobei die Kritiker immer zweierlei sind: Einerseits sind es Ethik-Verfechter („Nieder mit unethischem KI-Einsatz!“), andererseits Zensurkritiker („Es lebe die künstlerische Freiheit!“). KI-Modelle werden immer von einer dieser Gruppen angegriffen, je nach Kontext. Ich bin grundsätzlich gegen Zensur im Allgemeinen, insbesondere in der Kunst. Ich bin auch kein Gegner von Körperdarstellungen (bin nur kein Fan von Aktbildern, eher von Realitätsfragen, Körper ist mir zu wenig Welt). Nur der Sprung von „Auseinandersetzung der KI mit dem menschlichen Körper“ zu „Missbrauch der KI für eigene dunkle Triebe“ ist vielleicht kürzer als erwartet. Sicherlich nutzen das viele „kunsttherapeutisch“ – und ich frage mich sogar, ob die NSFW-KI-Generatoren die Befriedigung der dunklen Triebe übernehmen und damit viele potenzielle menschliche Opfer (zum Beispiel Kinder) aus der Gefahrenzone bringen (aber „Selbsttherapie“ ist unzureichend, das muss der Schöpfer schon bedenken). Vielleicht sollten diese Experimente doch nicht unbedingt an die Öffentlichkeit gelangen? Wenn die Menschen verantwortungsvoll mit Modellen umgehen, können wir auch diese Einschränkungen fallen lassen. Wenn. DOCMA: Sie schreiben, die Maschine solle mehr sein als ein Werkzeug. „Sie soll nicht anthropomorphisiert werden, vielmehr soll der Mensch deanthropomorphisiert und seine Selbstbezogenheit hinterfragt werden.“ Was soll das bedeuten? Läuft das am Ende auf eine ästhetische Selbstbefriedigung von KI-Systemen heraus, die als Produzenten und Rezipienten auftreten und den Menschen nicht mehr benötigen? Wenn der Mensch in dieser Hinsicht nicht mehr das Maß aller Dinge ist, wäre KI kein Werkzeug, sondern „auf Augenhöhe“. Wäre das (selbst wenn sie einmal so etwas wie Bewusstsein entwickeln würde) eine wünschenswerte Perspektive? MERZMENSCH: Damit meine ich eine neue Wahrnehmung maschinengenerierter Werke – auf gleicher Augenhöhe – mit Wertschätzung und würdiger Interpretation ihrer Ästhetik, Komposition und Sujets. Statt nur „zufällige Algorithmenproduktion“ und „stochastischer Papagei“ (die beliebten abwertenden Epitheta der KI-Kritiker) zu sehen, plädiere ich für ein weltoffenes Verhältnis zu den von KI produzierten Inhalten. Das wird noch dauern – die meisten sind noch sehr anthropozentrisch und nehmen die KI-Produkte nicht ernst. Dabei sollte der Mensch die Zielgruppe bleiben – denn am Ende sind es Menschen, die KI-Kunst rezipieren, bewerten, interpretieren. Übrigens hat diese Perspektive nichts mit dem Transhumanismus zu tun, denn diese Bewegung stellt immer noch den Menschen in den Mittelpunkt – wenn auch in einem technologisch veränderten Übergangszustand. Das die Maschinen eines Tages füreinander Kunst kreieren, ist aber ein verlockender Gedanke.