Kreativität und Improvisationstalent waren im Objektivbau nach 1945 auch bei Albert Schacht gefragt. In München nicht mehr als eine optische Werkstatt, gewann das Unternehmen mit der Verlegung nach Ulm an Bedeutung. Wie Zeiss in Oberkochen profitierte Schacht vom Zustrom gut ausgebildeter, aus der DDR geflüchteter Fachkräfte. Viele ehemals beim VEB FOG (Feinoptisches Werk Görlitz) Beschäftigte starteten hier neu. Scherzhaft machte das „Werk III von Meyer-Görlitz“ die Runde.
Zu den ersten Objektiven von Schacht gehörte wie bei Zeiss in Ost und West ein Tessar-Design 50/2.8 namens Travenar. Über die anfänglichen Produktionsbedingungen berichteten Zeitzeugen Abenteuerliches. Doch wer schon mal ein zerlegtes Objektiv wieder zusammensetzen wollte, weiß, dass das „Einschütteln“ von Linsen in passgenaue Aussparungen ein probates Mittel sein kann. So ähnlich wurde es anfangs auch bei Schacht praktiziert. Nach 1945 musste oft auf einfachstem Wege das bestmögliche Ergebnis erreicht werden.
Im Lauf der 1950er Jahre erlaubte die Qualität der von Schott aus Mainz gelieferten Linsenpresslinge deutliche Vereinfachungen beim Schleifen. Zur neuen Herausforderung wurde die anschließende Vergütung der Linsen mit Antireflexbeschichtungen. Christian Ulrich, ehemaliger Mitarbeiter von Schneider-Kreuznach, führte systematisches Qualitätsmanagement mit Prüfinstrumenten ein. Vergleichsmessungen sollen erstaunliche Ergebnisse gezeigt haben: Das 90er Travenar, heute ein gefragtes Sammlerstück, soll besser als das vergleichbare Leitz-Objektiv gewesen sein. Auch das Travenar 135/3.5 wurde für besser befunden als vergleichbare Schneider-Kreuznach Produkte.
Kluge Berechnungen
Fast alle Foto-Objektive von Schacht berechnete Ludwig Bertele nach bewährten Formeln. Zu seinen frühen Erfolgen zählten Ernomox, Sonnar und Biogon. Fortschritte in der Glastechnologie ermöglichten ihm die Umsetzung seines frühen Ernostar-Designs mit Einzellinsen im Travenar 135/3.5. Parallel zu seiner Tätigkeit für Schacht entwickelte Bertele für die Schweizer Wild AG Luftbildobjektive, die weltweit Anerkennung fanden. Sein Kampf um die Anerkennung patentfähiger Entwicklungen war mühsam. Die konstruktive Verbesserung beim Biogon II durch Einfügen einer Luftlinse, einem winzigen Spalt zwischen zwei Linsen, wurde von deutschen Patentprüfern als banal abgelehnt.
Blick hinter die Kulissen
Der Altglas-Report (Teil III) bietet einen weiteren Blick hinter die Kulissen beim Objektivbauer Albert Schacht. Ein eigenes Kapitel ist den Teleklassikern Ernostar und Sonnar gewidmet. Das für seine Zeit ungewöhnliche Bertele-Weitwinkel Travegon 35/3.5 rückt zusammen mit weiteren Weitwinkel-Veteranen in den Fokus.
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