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Ausstellungstipp: Geniale Frauen

Das Hamburger Bucerius Kunst Forum zeigt bis zum 28. Januar 2024 die Bilder bekannter und vergessener Künstlerinnen – und die der ebenfalls malenden Männer, die sie gefördert, behindert oder ausgebeutet haben, ihnen manchmal aber auch den Haushalt führten.

Ausstellungstipp: Geniale Frauen
Dr. Katrin Dyballa hat die Ausstellung „Geniale Frauen“ kuratiert.

Schon seit Jahrzehnten wird kritisiert, dass der Anteil von Künstlerinnen in den Museen erschreckend gering ist. Er liegt durchweg bei einstelligen Prozentzahlen, und das fast überall auf der Welt. „Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“ fragten schon 1989 die Guerilla Girls: Weniger als 5 Prozent der ausgestellten Künstler seien Frauen, aber 85 Prozent der dargestellten Nackten. Ein wenig hat sich seitdem geändert, aber wenn es um frühere Jahrhunderte geht, heißt es noch immer oft, dass es damals eben nur wenige Künstlerinnen gegeben hätte und die Sammlungen das widerspiegelten.

Dass das nicht so ganz stimmt, stellt die Ausstellung Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten im Bucerius Kunst Forum unter Beweis. Neben bekannten Namen wie Angelika Kauffmann und Maria Sibylla Merian hat die Kuratorin Katrin Dyballa auch Malerinnen aufgespürt, die wie Anna Waser (1678–1714) nach ihrem Tod in Vergessenheit gerieten oder wie „La Tintoretta“ Marietta Robusti (um 1551 bis um 1590) zwar als Wunderkind galt, aber zeitlebens von ihrem Vater Tintoretto in seiner Werkstatt eingespannt wurde und anonym in seinem Stil arbeiten musste.

Ausstellungstipp: Geniale Frauen
Caterina van Hemessen: Selbstbildnis an der Staffelei (1548)

Von ganz anderer Art war der Vater Caterinas van Hemessen (1528 bis nach 1565), der seine Tochter in der Verfolgung einer eigenen künstlerischen Karriere förderte. Ihr in Hamburg ausgestelltes Selbstporträt gilt als erstes, in dem sich ein Maler oder eine Malerin bei der Arbeit an der Staffelei zeigt. Das selbstbewusst mit „Ich, Caterina de Hemessen, habe mich gemalt 1548, ihres Alters 20“ signierte Gemälde diente ihr auch als Eigenwerbung in Kreisen potentieller Auftraggeber. Caterinas künstlerisches Talent demonstriert es gleich zweifach – indem es sie bei ihrer Arbeit zeigt, und durch das Bild als deren Ergebnis. (Das Gemälde, an dem sie hier arbeitet, ist vermutlich ein ebenfalls ausgestelltes Porträt ihrer Schwester Christina.)

Ausstellungstipp: Geniale Frauen
Johann Nikolaus und Catharina Treu: Porträt der Catharina Treu mit Palette und Früchtekorb (1771)

Catharina Treu (1743–1811) und ihr ebenfalls malender Bruder Johann Nikolaus arbeiteten auch zusammen. Einem Porträt seiner Schwester hat sie selbst einen Früchtekorb hinzugefügt – Stillleben mit Früchten galten als Catharinas Spezialität, worauf ihr Fingerzeig verweist.

Die Gesellschaften im Europa des 16. bis 18. Jahrhunderts – und die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum beschränkt sich bewusst auf Europa und diese Epoche – boten den Malerinnen ganz unterschiedliche Entfaltungsmöglichkeiten, wobei die deutschen Kleinstaaten ein eher schwieriges Umfeld für die künstlerische Entfaltung waren. In England oder den Niederlanden war manches einfacher. In den Städten waren Künstler in den Handwerkszünften ähnlichen Gilden organisiert, die Frauen vielfach gar nicht aufnahmen oder ihnen zumindest die Ölmalerei verboten. Die städtischen Gilden wachten auch darüber, dass keine fremden Maler versuchten, in ihrer Stadt Aufträge zu akquirieren oder Bilder zu verkaufen. Wer eine Anstellung an einem Fürstenhof fand, wo statt der strengen Regeln der bürgerlichen Welt nur der Wille des Fürsten galt, konnte in diesem Rahmen oft viel freier arbeiten, was auch viele Malerinnen nutzten, wenn sich ihnen diese Möglichkeit bot.

Lavinia Fontana (1552–1614) heiratete für ihre soziale und wirtschaftliche Absicherung in den niederen Adel Imolas ein. Ihr Ehemann Severo Zappi dilettierte zwar ebenfalls in der Malerei, aber da sie unbestritten die größere Künstlerin war und sich ihr über die Beziehungen des Gatten und seiner Familie neue, zahlungskräftige Kundenschichten erschlossen, beschränkte er sich auf das Management seiner Frau und kümmerte sich um Haushalt und Nachwuchs. Lavinia nahm ihre Arbeit immer schon kurz nach der Geburt jedes ihrer 11 Kinder wieder auf, was ohne die Unterstützung Severos schwerlich möglich gewesen wäre.

Ein Ausschnitt aus Lavinia Fontana: Geburt Christi bei Nacht (vor 1580)

Da die Ausstellung den Bildern der Künstlerinnen solche der männlichen Verwandten und Kollegen gegenüberstellt, bietet sich ein Vergleich an: Malen Frauen anders als Männer? Generell kann man das sicherlich nicht sagen, aber etwas fiel mir auf. In Lavinia Fontanas Geburt Christi bei Nacht (vor 1580 entstanden) steht vor der Krippe ein Kasten mit Windeln. Das Jesuskind gilt ja meist als über so ordinäre Dinge wie körperliche Ausscheidungen erhaben; dass eine mehrfache Mutter an dieses realistische Detail gedacht hat, verwundert allerdings nicht.

Das Gemälde ist noch in anderer Hinsicht interessant: Die einzige sichtbare Lichtquelle ist eine von Josef gehaltene Kerze, aber deren Flamme ist dunkler als das Licht, das Maria und die Engel beleuchtet. Offenbar ist es das Kind selbst, von dem die Lichtstrahlen ausgehen.

Wie würde man heute wohl einen solchen Effekt mit den Mitteln von Fotografie und Bildbearbeitung erzielen? Mit Dodge&Burn kann man virtuelles Licht in ein Bild malen, aber in diesem Fall würde sich eine Montage aus zwei Aufnahmen anbieten: Man fotografiert einmal das mit einer großflächigen Lichtquelle diffus beleuchtete Kind, um dessen selbstleuchtende Wirkung nachzubilden, und dann noch einmal dieselbe Szene, in der an Stelle des Kindes eine Lichtquelle liegt, die mit hartem Licht für starke Kontraste sorgt.

Begleitend zur Ausstellung, die am 28. Januar 2024 endet, bietet das Bucerius Kunst Forum verschiedene das Thema vertiefende Veranstaltungen an. Schon am 20. Oktober 2023 gibt es eine Date Night für ein Speed-Dating bei „Kunst und Candlelight“ (aber, wie man sich denken kann, ohne echte Kerzen) – vielleicht entdecken die Besucher ja gemeinsame künstlerische oder andere Interessen. Wer weiter südwärts wohnt und es nicht eilig hat, kann die Bilder der Genialen Frauen übrigens auch noch vom 2. März bis 30. Juni 2024 im Kunstmuseum Basel sehen.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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