Zeit für Spenden
Insbesondere zum Jahresende überlegen viele, ob sie neben den Ausgaben für Weihnachtsgeschenke mit ihrem Geld auch gemeinnützige Organisationen mit Spenden unterstützen sollten. Doc Baumann beschreibt, wo er hilft und wo er zweifelt.
Das Jahr geht zu Ende. Öffnet man die Startseite von Wikipedia oder den Firefox-Browser, wird man um eine Spende gebeten. Mit „Alter, hassemal’n Euro?“ ist es da nicht getan. Am liebsten werden kalkulierbare monatliche Dauerspenden gesehen.
Doch was ist wirklich unterstützenswert? Wofür gibt etwa der Staat unser Geld aus und welche Projekte fördern wir selbst durch Spenden? Nach dem letzten Armutsbericht gelten über 12 Millionen Menschen in Deutschland als arm, weltweit hungern Abermillionen. Zahllose Menschen werden durch Kriege, Terror oder Umweltschäden (die es laut Trump eigentlich gar nicht gibt) zu Krüppeln oder Flüchtlingen.
Darf man da für eine Dreiviertel Milliarde Euro in Hamburg eine Elbphilharmonie bauen (die mal 77 Millionen Euro kosten sollte – immer noch eine sehr stolze Summe)? Darf man da in Museen investieren, Opern subventionieren, die nur von ein paar Tausend Menschen angesehen werden – überhaupt: Geld in Kultur stecken, das an anderer Stelle das Überleben von Menschen sichern würde?
Darf man für kulturelle Zwecke spenden, so lange Menschen verhungern?
Ich muss gestehen: ich bin mit den moralischen Implikationen dieser Frage nie klar gekommen. Stellt man sie so deutlich, kann die Antwort eigentlich nur lauten: Nein, es ist nicht gerechtfertigt, den Genuss von Opern-Arien und Gemälden aus öffentlichen Mitteln zu unterstützen, wenn gleichzeitig Rentner, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, oder kinderreiche Familien kaum über die Runden kommen. Wenn anderswo auf der Welt Menschen verhungern, wegen unseres Energiebedarfs ihre Äcker nicht mehr bestellen können oder aus ihren Häusern fliehen müssen, weil ein paar machtgierige Cliquen Hand in Hand mit Waffenlieferanten blutige Kriege anzetteln. Wenn gezielt Krankenhäuser in diesen Regionen bombardiert werden.
Doch andererseits: Wenn wir nicht wollen, dass Kulturleistungen sich nur durch Marktmechanismen refinanzieren, müssen wir zustimmen, dass ihre Förderung eine öffentliche Aufgabe ist.
Ein Leben ohne Kultur – was auch immer der Einzelne darunter verstehen mag – ist nicht wünschenswert. Ihre Unterstützung muss in einem angemessenen Umfang neben der der Schwachen und Hilfsbedürftigen stehen. (Was freilich „angemessen“ ist, möchte ich nicht entscheiden müssen, und ich beneide die Politiker nicht, deren Aufgabe das ist.)
So ganz aus der Affäre ziehen kann ich mich allerdings auch nicht, denn auch ich muss in jedem Jahr die Entscheidung treffen, wie hoch meine Spenden-Anteile für das eine oder andere ausfallen sollen: für humanitäre, politische, kulturelle oder sonstige Zwecke.
Eigentlich sind Wikipedia-Spenden nur angemessene Zahlungen für Dienstleistungen
Wie Sie selbst das handhaben, bleibt selbstverständlich ganz Ihnen überlassen. Ich möchte hier nur kurz auf zwei mögliche Spenden-Empfänger eingehen: Wikipedia und Firefox. Genau genommen sind Zahlungen an die entsprechenden Organisationen gar keine Spenden, eher ein freiwilliges Entgelt für Dienstleistungen, die wir in Anspruch nehmen.
Da ich seit Jahren ein treuer Wikimedia-Unterstützer bin, habe ich in diesem Jahr sogar einen Brief erhalten, in dem mein Engagement gelobt und ich um weitere Hilfe gebeten wurde. Meine Brockhaus-Enzyklopädie oder meine Encyclopedia Britannica haben vor Jahren noch viele tausend Mark gekostet. Oft bin ich zu faul, meinen Hintern aus dem Schreibtischstuhl zu hieven, zum Regal zu gehen, den passenden Band zu suchen und das entsprechende Stichwort nachzuschlagen. Für meine Gesundheit wäre das besser, und im Zweifelsfall traue ich den gedruckten Büchern auch eher als als der Webseite (Fehler habe ich hier wie dort gefunden, wenn auch selten), aber es ist bequemer so und aktueller ohnehin.
Die Überweisung einer moderaten Summe ist als kleine Gegenleistung also nur angemessen. Sich der Bitte zu entziehen bedeutet: Ich vertraue darauf, dass andere ihr nachkommen und schon was spenden – aber obwohl ich das Angebot nutze, gebe ich meine Kohle lieber für etwas anderes aus. Würde die Organisation mangels freiwilliger Zahlungen ihre Dienste einstellen müssen, guckten zahllose Nutzer dumm aus der Wäsche. Wahrscheinlich gäbe es aber schnell eine Alternative von Google, mit deutlich interessengeleiteten Einträgen, garniert von passender Werbung, und jedes Nachschlagen würde Ihr Profil noch transparenter machen.
Apropos Transparenz: Bevor ich den Wikimedia-Spendenaufruf an dieser Stelle unterstützt habe, habe ich erst mal genau geschaut, wofür das eingenommene Geld überhaupt ausgegeben wird. Wenn Sie das auch interessiert, müssen Sie am Ende des Aufrufs nur auf den Link „Wohin geht meine Spende?“ klicken; hätten Sie es gern noch genauer, finden Sie unter dieser Übersicht den Eintrag „Erfahren Sie mehr zum Jahresplan von Wikimedia Deutschland“ mit einer detaillierten Aufschlüsselung.
Auch Firefox bittet jetzt um Spenden. Da viele dieses Angebot ebenfalls gratis nutzen und die Vorzüge eines nichtkommerziellen Browsers schätzen, der die Verfolgbarkeit eigener Aktivitäten verringern soll, ist Unterstützung auch hier geboten. Da das Web zunehmend von postfaktischen Nachrichten verseucht ist (siehe meinen Blog vom 6.11.2016), fällt mir die Entscheidung über die Höhe meiner Spende hier zugegebenermaßen schwerer. Wie nichtkommerziell ist Mozilla wirklich? Wie gehen die Kooperations-Verhandlungen über die Zahlungen von Google weiter? Wie sieht der Zusammenhang von Firma und Stiftung aus? Das Schlimme ist: Gäbe es solche schwer überprüfbaren Meldungen auch zu Wikipedia, kämen mir wohl ebenfalls Zweifel. Immerhin weiß ich eines mit Sicherheit: Werbeeinblendungen bleiben mir dort erspart.
Moin Doc,
ich sehe das ähnlich wie Du. Auch ich spende seit einigen Jahren einen überschaubaren Betrag an die Wikipedia, an LibreOffice und (für mich als Softwareentwickler enorm wichtig) an TortoiseSVN. Die Verteilung der Beträge entscheide ich in jedem Jahr nach Bauchgefühl. Auch ich wurde von der Wikipedia dieses Jahr (per Briefpost) angeschrieben mit der Aufforderung, Fördermitglied mit einem monatlichen Betrag von min. 2 EUR / Monat zu werden. Das hat mich allerdings etwas befremdet. Denn ich fragte mich, welche Kosten für einen solchen farbenfrohen Papierbrief an x-tausend Leute zu verschicken entstehen? Und diese Kosten werden – wie könnte es anders sein – durch Spenden finanziert. Klar ist mir, dass die Wikipedia für Energie, Hard- und IT Leute Geld benötigt. Aber Werbeflyer in old school Briefpost… ? Durch die Vorstellung, Papier, welches wahrscheinlich erfolglos im Altpapier landet zu finanzieren, bin ich zumindest irritiert. Weiterhin kann ich mich nicht daran erinnern, den Wunsch geäußert zu haben, dass Wikipedia meine hinterlegten Kontaktdaten dazu verwendet, mir unaufgefordert etwas in meinen Briefkasten zu stecken.
Aber sicherlich liegt das daran, dass ich irgendetwas Kleingedrucktes überlesen habe, und voreilig „Akzeptieren“ angeklickt habe.