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Welche Objektive brauche ich wirklich?

Als ich noch jung und naiv war, schienen mir extrem lange Teleobjektive höchst begehrenswert zu sein; auch sehr kurze Brennweiten hatten ihre Reize. Heute neige ich dazu, mich auf immer engere Brennweitenbereiche zu beschränken. Welche Objektive brauche ich wirklich?

Merkur (unten links) vor der Sonne, aufgenommen am 9. Mai mit einem Beroflex 1:8 500 mm. Welche Objektive brauche ich wirklich?
Merkur (unten links) vor der Sonne, aufgenommen am 9. Mai mit einem Beroflex 1:8 500 mm

Vor vielen Jahren, noch in der analogen Ära, hatte ich mir mal ein preisgünstiges, manuell fokussiertes 500-mm-Objektiv (die sogenannte „Wundertüte“) gekauft, aber das benutze ich noch in Ausnahmefällen – etwa wenn ein Merkur-Durchgang vor der Sonne zu fotografieren ist.

Mein liebstes Telezoom war dann lange Zeit ein 70–300 mm, das ich ebenfalls noch für meine analoge Kleinbild-SLR gekauft hatte. Als ich dann zu einer DSLR mit APS-C-Sensor wechselte, nahm ich die scheinbare Brennweitenverlängerung auf 450 mm dankbar an – von der Vergrößerung her hatte ich damit fast die „Wundertüte“ erreicht. Seit anderthalb Jahren verwende ich stattdessen ein besseres und lichtstärkeres 1:2,8 70–200 mm Telezoom, und ich stelle fest, dass mir trotz der 100 mm kürzeren Brennweite selten etwas fehlt.

Welche_Objektive_1: Welche Objektive brauche ich wirklich?
Welche Objektive brauche ich wirklich?

Welche_Objektive_3: Welche Objektive brauche ich wirklichAuch mein Interesse an extrem kurzen Brennweiten hat nachgelassen; 28 mm (bezogen auf das Kleinbildformat; bei APS-C also etwa 18 mm) reichen mir durchweg. Mit einer Ausnahme: Mein 10–17 mm Fisheye-Zoom liebe ich heiß und innig, und wenn Sie auf Facebook unsere Berichterstattung vom Umweltfotofestival »horizonte zingst« verfolgt haben, dann haben Sie auch einige damit entstandene Aufnahmen gesehen.

Wie kommen wir überhaupt auf die Idee, für unsere Fotografie Objektive bestimmter Brennweiten zu benötigen? Mir scheint es hier zwei Arten von Gründen zu geben. Die erste ist die, dass wir ein Motiv mit einer bestimmten Perspektive abbilden wollen, also aus kurzer Distanz mit einer ausgeprägten Tiefenwirkung oder umgekehrt aus größerer Entfernung und daher mit einer flacheren Bildwirkung. Damit wir bei jeder Entfernung/Perspektive den gewünschten Bildausschnitt erfassen, brauchen wir entsprechend kurze oder lange Brennweiten.

Allein für diesen Zweck würden aber Brennweiten zwischen etwa 28 und maximal 200 mm (bezogen auf das Kleinbildformat) genügen. Es wäre selten sinnvoll, mit noch längeren Brennweiten zu arbeiten, um das Motiv aus entsprechend großer Entfernung extrem flach abzubilden, und bei sehr kurzen Brennweiten wird es zunehmend schwierig, die Abbildung einer dreidimensionalen Szene in ein zweidimensionales Bild ohne störende Verzerrungen zu bewältigen.

Das heißt nicht, dass längere und kürzere Brennweiten unnötig wären, aber wenn wir sie verwenden, hat das meist andere Gründe als solche der Perspektive. Lange Teleobjektive braucht man vor allem, wenn wir einem weit entfernten Motiv nicht näher kommen können und daher auf die vergrößernde Wirkung einer langen Brennweite angewiesen sind – dass die Perspektive dann nicht ideal ist, ist zu vernachlässigen, denn es geht nur darum, das Motiv trotz der großen zu überbrückenden Distanz überhaupt abbilden zu können. Umgekehrt zwingen uns die beengten Verhältnisse in Gebäuden oft dazu, sehr kurze Brennweiten einzusetzen, um eine Szene vollständig in einem Bild zeigen zu können.

An einen mittleren Brennweitenbereich, in dem wir die Brennweite nach gestalterischen Kriterien wählen, schließen sich also auf beiden Seiten Bereiche extrem langer oder kurzer Brennweiten an, die wir meist nur gezwungenermaßen einsetzen.

Zu den extremen Brennweiten gibt es aber auch Alternativen. Ein 400er oder 600er Tele ist groß, schwer und teuer und wird von vielen Fotografen nur selten benötigt. Wie wäre es, auf solche Brennweiten zu verzichten und für den Fall der Fälle eine kleine Kompaktkamera mit großem Zoombereich mit einzupacken, was Platz, Gewicht und Geld spart? Wenn man große Entfernungen überbrücken muss, sind es oft ohnehin Dunst und Luftschlieren, die die Bildqualität begrenzen, weshalb eine Kompaktkamera mit kleinerem Sensor hier gar keine so schlechte Figur macht. Ein Sport- oder Tierfotograf wird sich davon nicht überzeugen lassen – und das aus guten Gründen –, aber für viele andere könnte es ein gangbarer Weg sein. Ein fehlendes Superweitwinkel lässt sich nachbilden, indem Sie ein Panoramabild aus mehreren mit einer längeren Brennweite aufgenommenen und beispielsweise in Photoshop miteinander verrechneten Bildern erzeugen. Das hat zudem den Vorteil, dass Sie Ihr Motiv trotz des großen Bildwinkels vor einem unscharfen Hintergrund freistellen können.

Welche Objektive brauche ich wirklich? Ich werde mich in Zukunft wohl einmal in Selbstbeschränkung üben und nur noch mit Objektiven arbeiten, die ich für eine bestimmte bevorzugte Perspektive und daher eine bestimmte Entfernung zum Motiv benötige.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Ich denke, die Wahl der Objektive hängt etwas mit dem eigenen „Reifeprozess“ als Fotograf zusammen. Während ich am Anfang so viele Objektive haben wollte wie es nur geht, am besten alle, habe ich heute einige Spezial-Linsen. Und eine Nikon P900 kann in vielen vielen Situationen Fotos liefern, wie manch ein Fotograf mit einem schweren DSLR Body und einem 500er oder 600er f/4 drauf. Ich habe Fotos von Naturfotografen gesehen die mit dieser relativ kleinen, und günstigen Kamera arbeiten, solche habe ich mit meiner Canon 6D und dem Tamron 150-600 nicht hinbekommen. Und eine Sony RX 100 MK V beweist auch, dass man mit einer Taschenkamera kreativ auf höchstem Niveau arbeiten kann. Ich habe mit Canon angefangen zu fotografieren. habe letztes Jahr mein gesamtes Equipment verkauft und bin zu Sony gewechselt auf die A7R. Ich bin von der besseren Bildqualität und vom Gewicht nach wie vor begeistert. Wenn die Entwicklung weiter so geht, bin ich mir sicher, dass wir alle bald nur eine kleine Kamera mit maximal zwei Objektiven brauchen werden.

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