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Gesünder leben mit Photoshop

Bild: PHOTOMORPHIC PTE. LTD. – Fotolia | Montage: Doc Baumann

In der vergangenen Woche berichteten mehrere britische Tageszeitungen über die Entscheidung der englischen Universität von East Anglia, bei Graduiertenfeiern das In-die-Luft-Werfen der Akademikerhüte wegen angeblicher Verletzungsgefahren zu verbieten. Die Studenten sollen statt dessen nur so tun, als würfen sie werfen – die Hüte werden dann später per Photoshop einmontiert. Das eröffnet für Docmatiker ganz neue Berufsperspektiven.

In den angelsächsischen Ländern gibt es die ehrwürdige Tradition, dass die Graduierten nach bestandener Prüfung ihre schwarzen, oben quadratischen, unten runden, mit einer Quaste verzierten Hüte begeistert in die Luft werfen und sich dabei fotografieren lassen. Wie anschließend jeder seinen oder ihren Hut aus der Menge der herabregnenden Kopfbedeckungen wieder herausfindet, weiß ich nicht. Aber auch dieses Problem würde durch die Entscheidung der Universitätsleitung von East Anglia gelöst: Wer gar nicht wirklich wirft, sondern nur so tut, als ob, muss anschließend nicht suchen.

Als Grund für ihre Entscheidung gibt die Uni-Verwaltung an, in den vergangenen Jahren habe es Verletzungen durch herabfallende Hüte gegeben. Eine mit der fotografischen Dokumentation des Vorgangs beauftragte Firma unterstützte die Entscheidung: das scheinbare Werfen habe zudem den Vorzug, dass keine Gesichter mehr durch die „Mortarboards“ (wörtlich: Mörtelbretter) verdeckt würden. Da dem Vernehmen nach die Firma für jedes Foto zusätzlich 8 £ für einkopierte Hüte verdienen soll (die man in Photoshop ja nur ein einziges Mal als Ebene anlegen, aber immer wieder neu in Rechnung stellen kann), verwundert der zustimmende Kommentar nicht.

Ich musste beim Lesen dieses Artikels gleich an den James-Bond-Film „Goldfinger“ von 1964 denken. Vielleicht erinnern Sie sich: Der böse Auric Goldfinger, gespielt von Gerd Fröbe, hat einen nicht minder bösen koreanischen Diener namens Oddjob. Und der nennt einen Hut sein eigen, den er zielsicher als tödliche Wurfwaffe einsetzt.

Der Trick dabei ist das eingebaute Chakram. Das sollte man nicht mit Chakra verwechseln. Obwohl beide Begriffe aus dem Indischen stammen und etwas mit Kreis zu tun haben, hat das Letztere nach esoterischen Lehren etwas mit Energiezentren und -kanälen des Körpers zu tun. Ein Chakram dagegen funktioniert auch dann, wenn man nicht daran glaubt; es ist eine indische Wurfwaffe, die man sich wie ein ringförmiges Kreissägeblatt vorstellen kann. In einen Bowler-Hut eingebaut, fällt das Gerät kaum auf (vom Hut als solchem mal abgesehen).

Um zum Thema zurückzukommen: Ich stellte mir also vor, wie jene (aus Stabilitätsgründen glasfaserverstärkten) Akademikerhüte zunächst ganz harmlos in die Lüfte steigen, sich auf ihrem Weg abwärts jedoch nach Chakram- und Oddjob-Manier in blutrünstige Killermaschinen verwandeln und die akademische Elite des Landes vor den Augen der entsetzten Fotografen zerstückeln.

Ich weiß nicht, wie viele Graduierte in jedem Jahr in den englischsprachigen Ländern dieses potenziell tödliche Ritual aufführen, und ebenso wenig, wie viele von ihnen dabei Verletzungen davontragen. (Es ist ein Jammer, dass diese Entscheidung an einer UK-Universität getroffen wurde und nicht an einer in den USA, wo jährlich fast 34.000 Menschen durch frei erwerbbare Schusswaffen sterben, fast so viel wie bei Verkehrsunfällen.) Wahrscheinlich verletzten sich mehr Studenten beim Rasieren, wenn sie sich auf die Feier vorbereiten.

Aber wie auch immer – man bedenke, welche Auftragsfülle diese Haltung versierten Bildbearbeitern verschaffen könnte. Ich meine: Was ist schließlich nicht potenziell so gefährlich, dass man sich besser damit begnügen sollte, so zu tun, als ob, sich dabei fotografieren lassen, und die vom späteren Bildbetrachter erwartete Fortsetzung des eingeleiteten Prozesses von professionellen Photoshoppern zum guten (und vor allem gesunden) Ende bringen lassen?

(Kolleg/innen der deutschen Presse, die über das Hutwurfverbot berichteten, schrieben in diesem Zusammenhang schon mal von „Fotoshop“. Das belegt zum einen die tragischen Folgen des Rechtschreibunterrichts nach dem, was man hört – zeigt zum anderen aber, dass der Begriff die Allgemeinheit noch nicht so stark durchdrungen hat, wie wir begeisterte Anwender uns das vorstellen. Aber Adobe befindet sich da in guter Gesellschaft – es gibt ja auch immer noch Menschen, die Docma mit „g“ schreiben.)

Also, denken Sie schon mal über mögliche Einsatzgebiete nach, deren bildbearbeiterischen Ersatz Sie auf Ihrer Webseite anpreisen könnten. Hier schon mal als kostenloser DOCMA-Service ein paar Anregungen: Ehemaligen Rauchern, die sich ihres neuerworbenen Gesundheitsbewusstseins schämen, könnten Sie einen Glimmstengel zwischen die gelben Finger stecken und ein Wölkchen zwischen den Lippen hervorquellen lassen. Möchtegernsportler könnten ohne Verletzungsgefahr schweißüberströmt auf dem Rasen posieren, Banker Geldscheine in Flüchtlingsheimen verteilen. Weicheiern, die es nie zu einem Punkt in Flensburg geschafft haben, würden Sie ein Blitzer-Foto liefern, auf dem die Geschwindigkeit von 227 km/h eingeblendet ist. Frauen könnten sich im knappsten Minirock vor den Kölner Hauptbahnhof montieren lassen, Politmuffel mit einem Anti-TTIP-Transparent in der Hand vor einen Wasserwerfer. Oder vielleicht auch irgendwas mit Ziegen?

Sie sehen, diese Idee der Universitätsleitung von East Anglia ist ungeheuer ausbaufähig und könnte reales Handeln und öffentliches Image von Menschen noch stärker entkoppeln, als das ohnehin schon der Fall ist. Bereiten Sie sich rechtzeitig auf dieses Geschäft vor – andere tun es bestimmt.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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Kommentar

  1. Vielen Dank Doc, für den lustigen Artikel. Sie tappen aber in die gleiche Falle, wie die Hütchenverbieter, in dem Sie die Gesamtzahl eines Ereignisses nicht in das Verhältnis zur Wahrscheinlichkeit setzen.

    Die genannten 34.000 Menschen sterben in den USA eben nicht durch frei erwerbbare Schusswaffen. Die Zahl beinhaltet auch den Gebrauch illegaler Schusswaffen, der (genau wie auch in Deutschland), ein vielfaches höher ist. Etwa 60% sind zudem Selbsttötungen. Davon abgesehen, ist die Anzahl der getöteten Menschen in den USA dort am geringsten, wo sich die meisten legalen Waffen befinden und trotz steigender Waffenzahlen, sinkt jährlich die Anzahl der getöteten Menschen, jeweils im Verhältnis zur Bevölkerungszahl.

    Warum werden eigentlich immer die USA als schlechtes Beispiel für den Umgang mit Schusswaffen genannt werden? Sie liegen im internationelen Vergleich eher im Mittelfeld. Im sozialistischen Paradies Venezuela, liegt die Quote ca. 6x höher als in den USA und in der bunten Republik Südafrika fast 10x höher. Das glückliche Jamaika, das weltweit einen der geringsten Anteile an zivilen Waffen in der Bevölkerung hat (sogar noch weniger als Deutschland), hat gleichzeitig auch die höchste Anzahl an Tötungsdelikten im Verhältnis zur Waffenzahl.

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