Die verflixten Erdbeeren
Erdbeeren sind das neue Kleid – Sie erinnern sich an das berüchtigte Kleid, dessen Farbe vor zwei Jahren das halbe Internet in Aufruhr versetzte? Jetzt sind es grün-graue Erdbeeren, die diesmal zwar jedem Betrachter rot erscheinen – aber dafür gibt es Streit darüber, was ein „rotes Pixel“ sei.
Das Bild, mit dem Akiyoshi Kitaoka, Professor für Psychologie in Kyoto, die Konstanz der menschlichen Farbwahrnehmung illustrieren wollte, erregte noch wenig Aufsehen. Ein virales Phänomen wurde erst daraus, nachdem Matt Lieberman, Neurobiologe an der UCLA, eine Variante davon in einem Tweet veröffentlicht hatte. Beide Bilder beweisen denselben Effekt: Unter geeigneten Randbedingungen erscheinen uns Bildmotive als rot, auch wenn ihre Farbe keineswegs rot ist. In diesen Bildern handelt es sich um Erdbeeren und man könnte auf die Idee kommen, dass wir Erdbeeren für rot halten, einfach weil reife Erdbeeren eben normalerweise rot sind, aber das spielt hier nur eine untergeordnete Rolle.
In der Diskussion dieser Bilder in den sozialen Netzen wiesen einige Schlaumeier darauf hin, dass es ja durchaus Daten im Rotkanal dieser Bilder gäbe. Andere betonten, dass die Bilder auf dem Monitor auch rote Bildpunkte zum Aufleuchten brachten. Darum ging es aber nicht. Die Bildpunkte eines Bildschirms haben nicht direkt etwas mit den Bildpixeln zu tun, also den atomaren Bestandteilen eines Digitalbilds. Es spielt auch keine Rolle, dass im Rotkanal größere Werte als Null auftreten. In einem weißen Pixel ist schließlich 100% Rot enthalten, aber es ist dennoch ein weißes und kein rotes Pixel. Schaut man sich die Pixel im Bereich der „roten“ Erdbeeren an, so stellt man fest, dass der Rot-Anteil hier stets geringer als der von Grün und Blau ist – die Farbe der Erdbeeren ist ein blaugrünes Grau. Dennoch erscheinen uns die Erdbeeren als rot, und das ist der Effekt, um den es hier geht.
Wir sind es gewohnt, dass sich die Farbtemperatur des Lichts vom Morgen über den Mittag bis zum Sonnenuntergang ändert, und wir sind auch damit vertraut, dass unter Bäumen das von grünen Blättern reflektierte Licht einen Farbstich erzeugt, der nichts an den Farben der Gegenstände ändert. Unser Gehirn ist darauf trainiert, beliebige Farbstiche zu erkennen und deren Einfluss herauszurechnen. Die Erdbeerbilder lassen einen allgemeinen Cyanstich erkennen, und wenn man das Übermaß an Cyan herausrechnet, ist der Teller weiß, der Tisch holzfarben und die Erdbeeren sind rot.
Wenn Sie diesem Effekt nachspüren wollen, können Sie in Photoshop leicht ähnliche Bilder erzeugen. Dazu legen Sie über Ihrem Ausgangsbild eine »Einstellungsebene« vom Typ »Farbfläche« an, der Sie für den maximalen Effekt die Komplementärfarbe des Hauptmotivs geben. Reduzieren Sie dann die Deckkraft der Farbfläche so weit, dass die Motivfarbe gerade noch nicht dominiert; der Effekt erscheint dann am eindrucksvollsten. Statt des Mischmodus »Normal« können Sie auch »Farbe« nehmen, müssen dann aber eine höhere Deckkraft wählen – das Ergebnis ähnelt in dieser Variante eher dem von Akiyoshi Kitaoka als dem von Matt Lieberman.
Der beobachtete Effekt beruht im Wesentlichen darauf, dass unser Gehirn einen Farbstich erkennt und dessen Farbe unwillkürlich abzieht. Würde man die Originalfarbe – bei den Erdbeeren also Rot – vollständig eliminieren, dann funktionierte dies nicht, denn die blaugrün beleuchteten Erdbeeren erschienen dann schwarz. Das Gehirn bestimmt zwar einen Weißpunkt, also eine Farbe, die als Weiß gelten soll – beim Erdbeerbild ist das ein helles Blaugrün –, und passt alle weiteren Farben an. Es gibt aber keinen entsprechend angepassten Schwarzpunkt; Schwarz bleibt Schwarz.