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Marmor (in Farbe)

Ein Reprint aus dem Jahre 1776

Ein neuer Bildband zeigt 250 Jahre alte Farbabbildungen von über 500 Marmorarten, der Faksimile-Reprint eines holländischen Buches aus dem Jahr 1776. Aber wie haben die damals farbige Zeichnungen drucken können, das Verfahren der Farblithographie wurde doch erst viele Jahre später erfunden? Doc Baumann hat sich die Neuerscheinung angeschaut und ist begeistert – ein tolles Geschenk für Gestalter (oder zur Selbstbelohnung).

Marmor (in Farbe)

Vor anderthalb Jahren hatte ich an dieser Stelle schon einmal ein Buch zum Thema „Marmor“ vorgestellt, „The Aesthetics of Marble“, ein Buch mit Fotos von Marmor(objekten). Gegenüber der fotografischen Exaktheit und Detailtreue eines solchen Bandes haben Zeichnungen eigentlich keine Chance. Und doch verdient der neue Bildband „MARMORA  et adfines aliquos lapides coloribus suis“ aus dem Taschen Verlag besondere Aufmerksamkeit, denn er präsentiert eine große Anzahl 250 Jahre alter, schöner und nicht weniger exakter Illustrationen.

Wie gesagt, farbiger Illustrationen. Das war in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine große Seltenheit, denn Farbdruckverfahren waren noch nicht erfunden. (Einschränkung: Es gab durchaus Farbholzschnitte oder farbige Aquatinta-Radierungen, die aber fast ausschließlich für einzelne Blätter verwendet wurden und nicht für ganze Bücher. Zudem waren sie, bedingt durch die Druckverfahren, darauf beschränkt, Flächen gleicher Farbe nebeneinanderzusetzen – wenn man so will, eine extreme Form des „Banding“, wie wir es heute gern vermeiden und ungern bei Verläufen grober JPEGs sehen.) Die „Marmor“-Illustrationen aber waren handkolorierte Kupferstiche, 570 in jedem Buch, bei einer Auflage von 100 Exemplaren. Naheliegend, dass die nicht gerade billig waren.

Selten hat ein Buch so gut ins Verlagsprogramm von Taschen gepasst. Denn um anspruchsvolle Bildbände im Riesenformat zu bezahlbaren Preisen auf dem internationalen Markt anbieten zu können, werden viele davon mehrsprachig (meist englisch, französisch, deutsch) hergestellt. Und auch die MARMORA sind mehrsprachig; da in Amsterdam gedruckt, kommt niederländisch hinzu, sowie für die gelehrte Welt in Latein.

Marmor (in Farbe)

Wie üblich, ist das Buch hochwertig produziert, auf dickem Papier, passend zum Thema sind Vor- und Nachsatzseiten marmoriert und sogar der Buchschnitt.

Der sachkundige und gut lesbare Text des Nachworts, der das Buch(original) in den historischen Kontext der Aufklärung stellt, stammt von dem Autor Geert-Jan Koot, der von 1988 bis 2021 Leiter der Forschungsbibliothek des Amsterdamer Rijksmuseum war.

Daraus ein paar Anmerkungen: Sammlungen von polierten Gesteinsschnitten gehörten damals in das Umfeld der Kuriositätenkabinette, in denen wohlhabende Sammler (zunächst Adel, später auch wohlhabendes Bürgertum) alles Mögliche zusammentrugen und gleichberechtigt nebeneinanderstellten: Muscheln, Gemälde, ausgestopfte Tiere, exotische Objekte, Statuen, Porzellan … und eben auch bemerkenswerte Steine. („Marmor“ ist hier übrigens nicht wörtlich zu nehmen, sondern bezeichnete damals polierte Steine aller Art.) Dieses ungeordnete Durcheinander begann im Zeitalter der Aufklärung einem zunehmenden Interesse an Klassifizierung zu weichen, einer Einordnung nach den Prinzipien der neuen systematisierenden Naturwissenschaften, wie sie etwa in Diderots und d’Alemberts „Enzyklopädie“ ihren Ausdruck fanden.

Marmor (in Farbe)

Die Exaktheit der Abbildungen passte zu diesen neuen Ansprüchen. Der Verleger Jan Christiaan Sepp und sein Vater realisierten in ihrem Verlag Kupferstiche und Kolorierung zunächst selbst, später wurde diese Arbeit an spezialisierte Koloristen abgegeben, im eigenen Haus oder als Auftrag. Zu den hohen Kosten für Papier und Druck kamen also zusätzlich die für die Kolorierung. Ein Band kostete umgerechnet um die 450 Euro. Dass dennoch die Auflage von etwa 100 Exemplaren abgesetzt werden konnte, lag zum einen daran, dass sie in zahlreichen Teilauslieferungen versandt (und bezahlt) wurde, zum anderen am Aufkommen von Lesegesellschaften mit eigenen Bibliotheken, in denen mehrere Mitglieder einen solchen Band anschauten und sich die Kosten daher auf viele verteilten.

(Ergänzend nur für Verschwörungsthoretiker: Genau im Druckjahr 1776 wurden nicht nur die USA gegründet mit der geheimnisvollen Pyramide (aus Marmor?) im Siegel und auf dem Dollar-Schein, sondern in Ingolstadt auch die Illuminaten. Wenn das nichts zu bedeuten hat …)

Gegliedert sind die Marmorsorten nach ihrer Herkunft. Das Buch basiert auf einer deutschen Ausgabe von Adam Ludwig Wirsing, der es 1775 in Nürnberg herausbrachte. Die Texte stammten von dem deutschen Naturwissenschaftler Casimir Christoph Schmidel, einem Bayreuther Professor.

Also – viel Buch-, Geologie- und Kunstgeschichte und zugegeben wenig Bildbearbeitung (jedenfalls keine digitale). Nur ein Bildband, der einfach schön ist und dessen Tafeln es lohnen, angeschaut zu werden.

Jan Christiaan Sepp: The Book of Marble
Begleittext: Geert-Jan Koot
Taschen Verlag 2023
Hardcover im Schuber, 24 x 30 cm
dreisprachig: englisch, deutsch, französisch
312 Seiten
€ 100
https://www.taschen.com/de/books/classics/08009/sepp-marbl

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(Übrigens habe ich auch einen ganz persönlichen Bezug zu gemalten Marmorstrukturen. Die drei Meter hohe Säule unten ist ein bloßes Abflussrohr, das ich mal in dieser Weise bemalt habe. Gelernt habe ich sowas nicht an der Kunsthochschule, sondern bei meinem Praktikum als Bühnenmaler am Kasseler Staatstheater; auch, wie man aus Gips eine solche Säulenbasis herstellt.)

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Nachtrag: Ebenfalls beim Taschen Verlag erschienen ist gerade ein weiterer Bildband im XXL-Format mit fast 500 Seiten; Jens Müllers „The Computer“ mit über 1000 Abbildungen zur Geschichte von Computer und Digitalisierung, von Pascals mechanischer Rechenmaschine bis zum Quantencomputer; zahlreiche kurze (ebenfalls dreisprachige) Textblöcke beschreiben die technischen und gesellschaftlichen Aspekte von Computern und ihrer Nutzung.

Jens Müller  
The Computer. Eine Geschichte vom 17. Jahrhundert bis heute
Taschen Verlag 2023
Großformat 25 x 38 cm 473 Seiten € 60
https://www.taschen.com/de/books/popculture/04692/the-computer

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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