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Was wurde eigentlich aus Schrödingers Katze?

Da nutzt man mal ein (KI-generiertes) Bild einer Katze im Karton, und schon sprudeln in den Facebook-Kommentaren die Assoziationen zu Schrödingers Katze. Warum nur ist dieses Meme nicht totzukriegen? Was ist dran an der – so lange niemand genau hinschaut – gleichzeitig lebendigen wie toten Katze, die Erwin Schrödinger vor nunmehr 88 Jahren in eine Kiste sperrte?

Um das von vornherein klarzustellen: Schrödingers Katze ist der Name eines Gedankenexperiments mit einer Katze als Versuchstier, das weder Schrödinger noch sonst jemand jemals ausführen wollte – was im Übrigen auch weitgehend sinnlos gewesen wäre. Der Österreicher Erwin Schrödinger (1887–1961) hatte zwar eine dunkle Seite, denn er missbrauchte minderjährige Mädchen, darunter eine 12-Jährige, weshalb ihm zumindest in Irland einige Ehrungen posthum aberkannt wurden, aber über eine Neigung zur Tierquälerei ist nichts bekannt.

Was wurde eigentlich aus Schrödingers Katze?
Erwin Schrödinger und die Katze, wie eine KI sie sieht.
(Katzen können nicht schreiben und Firefly offenkundig auch nicht.)

Schrödinger, seit 1933 Physik-Nobelpreisträger, war nicht recht glücklich mit der sogenannten Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik, die Niels Bohr und Werner Heisenberg 1927 in Kopenhagen entwickelt hatten. In der Quantenmechanik werden die Eigenschaften eines Teilchens durch eine Wellenfunktion beschrieben, die nur Wahrscheinlichkeiten angibt. Man kann beispielsweise sagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich das Teilchen an einem bestimmten Ort befindet, nicht aber, wo es gerade ist. Um das herauszufinden, muss man eine Messung durchführen, und die führt zum Kollaps der Wellenfunktion zu einem bestimmten Wert.

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass wir mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten müssen, aber in der klassischen Physik gilt das nur, so lange wir nicht über vollständiges Wissen verfügen. Wenn ich beispielsweise würfle, kann ich das Ergebnis nicht vorhersagen; ich weiß nur, dass jede Augenzahl eine Wahrscheinlichkeit von 1/6 hat. Wenn ich nun einen Würfelbecher benutze, weiß ich, bevor ich den Becher anhebe, noch immer nicht, welche Augenzahl ich erzielt habe, obwohl klar ist, dass der Würfel gefallen ist. Die Wahrscheinlichkeit jeder Zahl liegt also immer noch bei 1/6. Erst wenn ich unter dem Würfelbecher nachschaue und eine 3 sehe, weiß ich, dass die Wahrscheinlichkeit von 3 gleich 1 und die jeder anderen Augenzahl gleich 0 ist. Die Wahrscheinlichkeiten ändern sich also nicht, weil sich die Fakten geändert hätten – die 3 lag auch unter dem Würfelbecher bereits oben –, sondern weil ich Wissen hinzugewonnen habe.

Die Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik besagt nun aber, dass die Wahrscheinlichkeiten der Wellenfunktion nicht subjektiv als Aussagen über irgendjemandes Wissensstand zu verstehen sind, sondern die objektive Realität wiedergeben. Bevor man eine Messung durchführt, gibt es über Wahrscheinlichkeiten hinaus keine Fakten. So lange ich die Position eines Teilchens nicht durch eine Messung bestimme, hat es überhaupt keine feste Position, sondern ist gewissermaßen über einen Bereich von Positionen verschmiert.

Unsere Intuition tut sich damit schwer, und so erging es auch Schrödinger. Man könnte sich damit noch abfinden, so lange sich die Quantenphänomene auf die subatomare Ebene beschränken. Im makroskopischen Bereich gilt ja weiter die klassische Physik, weil schon kleinste Wechselwirkungen zwischen den Teilchen deren Wellenfunktionen zusammenbrechen lassen. Um sein Problem mit der Kopenhagener Interpretation zu verdeutlichen, konstruierte Schrödinger ein Gedankenexperiment, in dem ein Quantenphänomen dennoch Auswirkungen auf der makroskopischen Ebene hat, nämlich über Leben und Tod einer Katze entscheidet:

Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine …: in einem Geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, daß im Laufe einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, daß die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall würde sie vergiftet haben. Die Psi-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, daß in ihr die lebende und die tote Katze zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind.

Erwin Schrödinger: Naturwissenschaften. 48, 807; 49, 823; 50, 844, November 1935.
Was wurde eigentlich aus Schrödingers Katze?
Katze, Geigerzähler, Hammer und Giftfläschchen – hier scheint jemand Schrödingers Gedankenexperiment nachstellen zu wollen. (Generiert von Firefly)

In diesem Experiment wäre es also nicht nur unbestimmt, ob ein instabiles Atom innerhalb einer Stunde zerfallen ist, sondern in der Folge auch der Zustand der Katze. So lange man die Stahlkammer nicht öffnet und nachschaut, wäre die Katze weder lebendig noch tot, sondern zwischen Leben und Tod verschmiert. Einen solchen Zustand bezeichnen Quantenphysiker bis heute als Katzenzustand, auch wenn es – in Quantencomputern beispielsweise – gar nicht um eine Katze geht.

Und natürlich ging es niemals um eine Katze. Schrödinger wollte nicht herausfinden, was mit einer Katze passiert, die man entweder vergiftet oder auch nicht, sondern mit seinem Gedankenexperiment die Absurdität aufzeigen, die man mit der Kopenhagener Interpretation akzeptieren muss.

Aber ist das so? In Beschreibungen von Quantenphänomenen ist oft von einem Beobachter die Rede, der eine Wellenfunktion durch eine Messung kollabieren lässt. Im Fall von Schrödingers Katze nimmt man an, dass ein Blick in die Stahlkammer genügt, um die Entscheidung zwischen Zerfall oder Nichtzerfall eines Atoms und damit über Leben und Tod der Katze herbeizuführen. Aber warum wäre dann nicht schon die Katze selbst ein solcher Beobachter? Wenn sie das nicht ist – und Schrödingers Gedankenexperiment setzt das stillschweigend voraus –, müssten wir annehmen, dass allein Menschen die Superkraft haben, Wellenfunktionen kollabieren zu lassen. Und das wäre nun wirklich kontraintuitiv. Dennoch haben manche Wissenschaftler diese Ansicht vertreten, insbesondere John von Neumann (1903–1957), den wir vor allem wegen der Von-Neumann-Maschine kennen, seinem Modell eines universellen Computers, das praktisch allen heutigen Computern zugrunde liegt.

Tatsächlich ist es plausibler, auch Katzen als Beobachter zu akzeptieren. Überhaupt führen die Begriffe eines Beobachters und einer Messung in die Irre, denn jede kausale Wirkung reicht bereits, damit eine Wellenfunktion kollabiert. Schon die Zerstörung der Phiole mit dem Gift, aber auch die elektromagnetische Auslösung des Hammers und die Registrierung der Strahlung durch den Geigerzähler genügen.

Das bedeutet, dass es keine gleichzeitig lebendige und tote Katze gibt. Schrödingers Katze stirbt oder bleibt am Leben, aber das ist niemals unbestimmt. Ob sie überlebt, erfahren wir zwar erst nach Öffnen der Kammer, aber das unterscheidet sich in nichts vom Zustand des Würfels, bevor man unter dem Würfelbecher nachschaut.

Nichtsdestotrotz arbeiten Quantenphysiker daran, immer größere Objekte in einem unbestimmten Katzenzustand zu belassen, also den Zusammenbruch der Wellenfunktion zu vermeiden. Mit Schrödingers Katze hat das aber wenig zu tun, denn gerade sie war niemals in einem Katzenzustand.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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