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Lee Miller, Fotografin zwischen Krieg und Glamour

Das Hamburger Bucerius Kunst Forum stellt vom 10. Juni bis 24 September 2023 das Lebenswerk der Fotografin Elizabeth „Lee“ Miller (1907–1977) vor. Die Ausstellung, die bereits im Museum für Gestaltung Zürich zu sehen war, zeigt mit 150 exemplarischen Fotos Millers aus den Jahren 1929 bis 1973 die gesamte Breite ihres Werks, auch aus der Zeit ab den 1950er Jahren, in der sie die Fotografie vermeintlich aufgegeben hatte.

Lee Miller, Fotografin zwischen Krieg und Glamour
Lee Miller: Picasso und Lee Miller in seinem Studio in Paris, 1944 (© Lee Miller Archives, East Sussex, England, www.leemiller.co.uk)

Lee Miller, geboren 1907 in Poughkeepsie (New York), gehörte mit Man Ray, Gertrude Stein und Ernest Hemingway zu den Amerikanern in Paris, die die französische Hauptstadt in den 1920er und 30er Jahren zur Kulturhauptstadt der Welt machten. Ihr Vater hatte sie schon in jungen Jahren mit der Fotografie vertraut gemacht, und nachdem sie für die Vogue gemodelt hatte, trieb sie ihre eigene Karriere als Fotografin voran. In Paris wurde sie Man Rays Assistentin, schließlich auch seine Lebensgefährtin, trennte sich aber bald geschäftlich wie privat von ihm und eröffnete 1930 ihr erstes eigenes Fotostudio. Neben Aufträgen, vor allem im Bereich der Modefotografie, verfolgte Miller auch eigene Projekte, insbesondere in Ägypten, wo sie 1934–39 mit ihrem ersten Mann lebte.

Lee Miller, Fotografin zwischen Krieg und Glamour
Lee Miller: Portrait of space, Ägypten, 1937 (© Lee Miller Archives, East Sussex, England, www.leemiller.co.uk)

Ihre freien Arbeiten lassen den Einfluss des Surrealismus erkennen und sind voller origineller Bilderfindungen. In Gizeh fotografierte sie die Cheops-Pyramide, indem sie auf deren Spitze kletterte und im Foto dann nur den langen Schatten zeigte, den das Grabmal auf die benachbarte Siedlung warf. In einem anderen Foto bildet ein Riss in einem Netz als negative Form ein Dreieck über dem Wüstensand und evoziert so wiederum die Vorstellung einer Pyramide (siehe oben).

Ihre Unerschrockenheit als Fotografin hatte Lee Miller schon 1029 in Paris unter Beweis gestellt, als sie im Auftrag eines Chirurgin eine Mastektomie, also eine Brustentfernung dokumentierte. Sie packte das entfernte Milchdrüsengewebe nach der Operation kurzerhand ein und fuhr damit in das Vogue-Studio, wo sie es auf einem Teller arrangierte. Bevor ihr konsternierter Chef, George Hoyningen-Huene, sie aus dem Studio werfen konnte, hatte sie zwei Fotos davon gemacht, die man als drastische Kritik an der Objektifizierung des weiblichen Körpers lesen kann.

Lee Miller, Fotografin zwischen Krieg und Glamour
Lee Miller: Remington Silent, London, 1940 (© Lee Miller Archives, East Sussex, England, www.leemiller.co.uk)

1939 begann der zweite Weltkrieg. Lee Miller, die in Paris den britischen Surrealisten Roland Penrose kennengelernt hatte, zog mit diesem neuen Lebenspartner nach London. Sie machte dort weiter Modeaufnahmen für die Vogue, teilweise bewusst in den Ruinen nach den deutschen Bombenangriffen inszeniert, und dokumentierte die Kriegsfolgen zunächst an der britischen Heimatfront. Ihr Foto einer zerstörten Schreibmaschine (oben) ist ein Symbol dafür, dass der Bombenterror auch die Journalisten bedrohte, die davon berichteten.

Nach dem D-Day begleitete Miller die alliierten Truppen in Frankreich, erlebte die Einnahme von Saint-Malo an vorderster Front und dokumentierte das befreite Paris. Mit dem Vormarsch der Amerikaner kam sie 1945 nach Deutschland, wo sie in dem am 11. April befreiten KZ Buchenwald und danach im KZ Dachau bei München fotografierte. Ihre Bilder der Toten und der knapp überlebenden Häftlinge werden in einem räumlich abgetrennten Teil der Ausstellung gezeigt, und hier hat sich Kathrin Baumstark ausnahmsweise für einen Warnhinweis entschieden – Triggerwarnungen nehmen in den Museen ja derzeit überhand, aber in diesem Fall ist dies angesichts einer auch für Kinder zugänglichen Ausstellung wohl angebracht. Eines der eindrücklichsten Fotos zeigt allerdings nicht das Grauen, sondern eine junge Frau im Dirndl, die von einem schwarzen GI durch das Lager geführt wird – die US-Army hatte die braven Bürger Dachaus gezwungen, sich genau anzuschauen, was jahrelang in ihrer Nachbarschaft geschehen war.

Unmittelbar danach gelangte Lee Miller nach München und bezog mit ihrem Kollegen David E. Scherman Hitlers Privatwohnung am Prinzregentenplatz. Dort entstand dann auch das berühmte Foto in Hitlers Badewanne, wo sie sich den Dreck des Konzentrationslagers abwusch (in der Ausstellung ist Schermans Foto von Miller ebenso wie Millers Foto von Scherman in der Badewanne zu sehen).

Lee Miller, Fotografin zwischen Krieg und Glamour
Bilder einer Ausstellung

1947 heiratete Lee Miller Roland Penrose, und 1949 erwarben sie den Landsitz Farley Farm in Sussex. Nachdem Miller mit sieben Jahren von einem Freund der Familie vergewaltigt und mit einer Geschlechtskrankheit infiziert worden war, musste sie davon ausgehen, keine Kinder bekommen zu können, aber 1947 wurde dennoch ihr Sohn Antony geboren. Miller hatte Schwierigkeiten, ihre Erlebnisse während des Kriegs zu verarbeiten, und sie fand sich auch kaum in ihre neue Rolle als Mutter hinein. Im ländlichen Surrey lebte sie aber keineswegs isoliert; die meisten Tage der Woche verbrachte sie in London und sie machte Farley Farm zum Treffpunkt ihrer Künstlerfreunde, darunter Picasso, Dora Maar, Max Ernst, Dorothea Tanning und Henry Moore. In den 1950ern entdeckte sie die Kochkunst als neues Betätigungsfeld, auf dem sie auch Preise gewann; die erhoffte Stelle als Kulinarik-Redakteurin bei der Vogue blieb ihr jedoch verwehrt.

Lee Miller, Fotografin zwischen Krieg und Glamour
Lee Millers Rezepte zum Mitnehmen und Nachkochen
Kathrin Baumstark, die Direktorin des Bucerius Kunst Forum, und Karin Gimmi, Kuratorin der Ausstellung

Die Zürcher Kuratoren Karin Gimmi und Daniel Blochwitz konnten die gesamten Bestände der Lee Miller Archives sichten und wurden dabei von dem Fotografen Antony Penrose unterstützt, dem Sohn Lee Millers mit Roland Penrose. Die Originale Millers hatten lange als verschollen gegolten; es gab keine Prints und die Fotografin selbst hatte die Legende verbreitet, die Negative seien verloren gegangen. Tatsächlich lagen sie die ganze Zeit in Farley Farm in Sussex, wo sie ihr Sohn wiederentdeckte.

Antony Penrose, der Sohn Lee Millers

Zur Ausstellung ist ein Katalog im Hirmer Verlag erschienen. Wenn Sie das Bucerius Kunst Forum besuchen wollen, sollten Sie auch das begleitende Veranstaltungsprogramm beachten; insbesondere das Gespräch mit Elisabeth Bronfen und Barbara Vinken zum Thema „Kunst im Kontext: Fotografie zwischen Krieg und Mode“ am 15. Juni 2023 verspricht, interessant zu werden.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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