Es gibt jede Menge bunter Bildbände mit den Werken von Frank Frazetta – aber es gibt bestimmt keinen wie diesen: riesengroß, dick wie die Muskelstränge eines Wikinger-Kriegers, schwer wie eine Streitaxt, und mit zahlreichen Abbildungen von Gemälden und Zeichnungen, die auch Fans des 2010 verstorbenen US-Künstlers sicherlich noch nie gesehen haben. Sollten Sie noch immer nicht das passende Weihnachtsgeschenk für Ihren Liebsten oder Ihre Liebste gefunden haben, wenn die sich für Fantasy-Art begeistern – kratzen Sie Ihre letzten Kröten zusammen und bestellen Sie diesen Wälzer!
Viel Platz bleibt nicht mehr unterm Weihnachtsbaum, wenn Sie dieses Buch dorthin gewuchtet haben. Es ist zwar nicht gerade so groß wie ein Scheunentor, aber seine Maße sind schon gewaltig: 30 x 40 Zentimeter. Am besten legen Sie es auf den Boden; ein graziles Tischchen könnte unter seinem Gewicht durchaus zusammenbrechen. Dass es bei diesen Dimensionen zwischen den leinenbezogenen Buchdeckeln einiges zu bieten hat, ist aus guten Gründen zu erwarten. Schließlich hat der Kölner Taschen Verlag einige Erfahrung mit der Produktion solch hochwertiger Ausgaben.
Was mir am Profil dieses Verlagshauses so gefällt, ist, dass es sich mit der Ausstattung solcher Werke dieselbe Mühe gibt wie bei denen von Rembrandt, Botticelli oder Caravaggio. Allerdings hat diese Qualität von dickem Papier, hochwertigem Druck, Einband, natürlich auch Bildauswahl und Begleittexten (englisch, deutsch und französisch) ihren Preis: 150 Euro. (mit anderen Worten: Zwei Exemplare stehen für den Gegenwert des ersten Gebrauchtwagens, den ich vor etlichen Jahrzehnten gekauft habe.)
Diese Ausstattung könnte auch zur Antwort auf die Frage beitragen, ob denn das Werk von Frazetta (und seiner Kollegen und wenigen Kolleginnen aus demselben Genre) Kunst sei. Frazetta hat zwar nie eine Kunstakademie besucht, und abgesehen vom schnellen Blick an einem Wochenende in ein paar geliehene Anatomiebücher war er ein Autodidakt, der schon als Jugendlicher mit dem professionellen Zeichnen von Comics anfing. Aber seine Darstellung der Körper von Menschen, Tieren und Monstern kann es locker mit den meisten aufnehmen, deren Werke an den Wänden ehrwürdiger Museen (und solcher mit zeitgenösischer Kunst ohnehin) hängen, und dasselbe gilt für Farbgebung und Komposition. Kein Wunder, dass er zum Vorbild vieler Fantasy- und Science-Fiction-Künstler wurde.
Man täte dem Maler und Zeichner Unrecht, würde man sagen, dass es in seinem Comics vor voluminösen Hintern und Brüsten, die jeder Schwerkraft trotzen, nur so wimmelt. Eine solche Terminologie hätte er zurückgewiesen und eher sachkundig von Ärschen und Titten gesprochen. Frazetta war nicht nur ein ausgesprochener Macho, Sohn italienischer US-Immigranten, sondern sicherlich auch ein Rassist mit Vorlieben für bluttriefende Gewaltszenen. (Dass nicht noch mehr triefte, lag wohl weniger an seiner konservativen, wenn auch mit Rebellentum vermischten Grundhaltung, sondern eher an den strengen US-Zensurbestimmungen.) Erträglich sind manche seiner Gewaltdarstellungen eigentlich nur, weil sie nicht in unserer Realität angesiedelt sind, sondern in den Welten der Fantasy und Science Fiction: Conan, Tarzan, die Mars-Abenteuer desselben Verfassers, Edgar Rice Burroughs, Tolkiens Mittelerde.
Was im Übrigen ebenfalls von vielen Seiten trieft, ist das Testosteron, das sich mit dem Schweiß der muskelbepackten Helden vemischt. Wer jemals ein Porträt Frazettas gesehen hat, wird seine markanten Züge in seinen Figuren häufig wiedererkennen, unübersehbar und offensiv vor allem in seinen Comic-Zeichnungen.
Sein Zeichenstil ist virtuos, vor allem die Handhabung der Schraffuren. Die sind von heftiger Dynamik, oft geradezu wild – ganz anders als die seines Vorbilds Hal Foster (Prinz Eisenherz) oder seines Kollegen Burne Hogarth (Tarzan), der sogar einige Lehrbücher für anatomisches Zeichnen verfasste. Wollte man kunstgeschichtliche Parallelen zu Kupferstechern des Barock ziehen, so entspräche vielleicht Foster dem Holländer Hendrik Goltzius, Frazetta dagegen dem Italiener Giovanni Battista Piranesi in dessen Carceri-Serie. Die gespannten, oft verdrehten Haltungen von Frazettas Figuren erinnern an den Manierismus. Hintergründe sind oft nur impressionistisch angedeutet, zentrale Figuren dagegen bis ins Detail ausgearbeitet. Bemerkenswert ist übrigens, wie vielseitig er war und neben blutigen Helden auf Leichenhügeln nicht weniger überzeugend humoristische Szenen, süßliche Pin-ups und Mainstream-Filmplakate oder Plattencover gestaltete. Aufschlussreich sind die Doppelseiten des Bandes, auf denen Entwürfe den finalen Gemälden gegenübergestellt werden.
Es ist gut, dass der Begleittext von Dan Nadel die problematischen Seiten des Künstlers nicht unter den Teppich kehrt. Ja, seine Frauendarstellungen sind häufig sexistisch, die Physiognomie seiner Monster hat nicht selten Ähnlichkeit mit der von Afrikanern und Asiaten. Aber würden wir alle Werke von bildenden Künstlern, Autoren, Komponisten, auch die von Wissenschaftlern, immer erst in Hinblick auf deren Biographie und politisch korrekte Haltung abklopfen, bliebe womöglich nicht viel übrig, woran wir uns noch erfreuen könnten/dürften.
Einzige Kritikpunkte: Die Texte sind in der deutschen Übersetzung mitunter ein wenig holprig, alle Bildlegenden gibt es nur auf Englisch, und bei denen im Negativsatz ist vor allem kursiv Gesetztes wegen der hauchdünnen Haarlinien nicht ganz einfach zu lesen.
Also, wenn Sie einem Fantasy-Fan – sich selbst eingeschlossen – eine Riesenfreude bereiten wollen, besorgen Sie sich noch schnell dieses umwerfende Buch. Es garantiert viele Stunden begeisterter Betrachtung. Wer mit Frazettas Werk vertraut ist, wird natürlich etliche bekannte Gemälde wiederfinden (und viele neue entdecken) – aber allein schon das große Format, das es erstmals erlaubt, bisher übersehene Details angemessen zu würdigen, lohnt die Anschaffung. Der Band schließt ab mit einer 40-seitigen Übersicht der von Frazetta gestalteten Titelillustrationen, von denen nur ein kleiner Teil im Original erhalten ist und sich in den nach Dekaden gegliederten Hauptkapiteln findet.
PS: Mit dem Aufmacherbild dieser Seite ließ sich der Beitrag übrigens bei Facebook nicht posten, da meinte der Algorithmus wohl, verdächtig Nacktes entdeckt zu haben. Nach Austausch mit dem Bild des „Death Trader“ mit bluttriefender Axt dagegen klappte es auf Anhieb. Es ist doch immer aufschlussreich zu sehen, welche Werte da hochgehalten werden …
The Fantastic Worlds of Frank Frazetta
herausgegeben von Dian Hanson
Taschen Verlag, 2022
468 Seiten, Überformat 30 x 40 cm
Fadenheftung, Leinenumschlag, Schutzumschlag, in stabler Pappschachtel
Texte englisch, deutsch, französisch
150 Euro