Seltsame Perspektiven – montiert oder fotografiert?
Vor zwei Wochen hatte Doc Baumann an dieser Stelle eine seltsame Montage der Helaba vorgestellt. Er war zwar nicht völlig sicher, ob es nicht doch ein Foto sei, aber es gab perspektivische Unstimmigkeiten. Horst Fenchel fand mit detektivischer Detailrecherche heraus, in welchem Gebäude die Szene aufgenommen worden war, alles passte zusammen. Keine Montage! Aber bei der Analyse eines weiteren von ihm entdeckten Bildes wurde dann alles noch schlimmer …
Horst Fenchel hat DOCMA seit unseren Anfängen begleitet … als Leser, Leserbriefschreiber und oft als Einsender von schrägen Bildmontagen. Nicht immer war er einer Meinung mit mir; so glaubte ich, bei einem Modefoto von Karl Lagerfeld Anzeichen für eine Montage zu entdecken – Horst Fechel hielt es für authentisch (er fragte sogar bei Lagerfeld nach, bekam aber leider keine Antwort, die unseren freundschaftlichen Disput hätte klären können).
Auch im Falle der Helaba-Werbung forschte er wieder mit detektivischem Scharfsinn nach, fand übereinstimmende Fotos der Frankfurter Skyline, identifizierte das Gebäude, aus dem die Aufnahme in der Anzeige entstanden war, entdeckte Bilder der Innenräume und schrieb mir dann:
„Lieber Doc Baumann,
ich freue mich immer wieder, wenn ich eine docmatische Bildkritik entdecke. 🙂
Beim flüchtigen Betrachten wäre mir am Bild tatsächlich nichts aufgefallen. Verglichen mit den „Highlights“ vergangener Bildkritiken ist das aktuelle Beispiel eher schwach. [Diese Einschätzung wird sich später relativieren – außerdem finde ich Montagen mit subtilen Fehlern spannender als die groben Mängel aus Möbel- und Heimwerkermarkt-Prospekten.] Umso neugieriger war ich zu erfahren, was da denn nun alles an Fehlern drinstecken sollte.
Die Fluchtlinien vom Fensterrahmen und die der Häuser passen in der Tat nicht, andererseits ist die Spiegelung des vertikalen Rahmens im Glas sehr realistisch. Ich suchte im Internet nach einer vergleichbaren Ansicht der Hochhäuser und wurde fündig:
Sehr ähnlich, wenn man reinzoomt. Allerdings etwas mehr von links und von oben aufgenommen, außerdem andere Lichtsituation.
Zwei fast identische Perspektiven, aber verschiedene Tage … das sprach eher für einen festen Kamerastandpunkt als für eine Drohnenaufnahme. Ich schaute auf Google Satellit nach, welches hohe Gebäude auf der Blickachse lag: Der Nextower. Und da fand ich dann auch das hier. Bingo!
Da sind wir doch schon ein Stück weiter. Zurück zur Montage. Der Schreibtisch mit Laptop könnte tatsächlich dort aufgebaut worden sein. Es scheint mir, dass die Tischkanten, die Sie als Referenz für die Fluchtlinien nehmen, gebogen sind, der Tisch also oval ist. Ein Video der Location zeigt u.a. auch einen Tisch mit ovaler Längsseite, wenn auch größer:
Damit wäre diese Perspektive möglich. Und die so seltsam wirkende Spiegelung im Metallblock würde sogar passen. Auch die Hochhäuser vor dem Fenster könnten real und nicht hinein montiert sein, auch wenn hier und da nachträglich „bereinigt“ wurde.
Die Sachlage ist offensichtlich nicht so eindeutig wie anfangs angenommen.
Warum eine identische Skyline hineinmontieren, wenn sie der Blick ohnehin hergibt? Und wenn die Spiegelung der Tischbeine im Würfel plausibel ist, muss auch der Tisch echt und nicht nachträglich einmontiert sein.
Wenn der Fotograf also vor Ort alles arrangiert hat bis auf die Person, warum sollte er dann nicht auch gleich das Model für die Aufnahme gebucht haben? Da rennen öfter mal Businessmodels für shootings herum. Hier fehlt allerdings der Tisch. Könnte das Foto also DOCH echt sein?
Leider habe ich die Werbeagentur oder den Fotograf/die Fotografin noch nicht herausfinden können. Dort müsste man es ja wissen Es bleibt also spannend.
Detektivische Grüße aus Marburg sendet
Horst Fenchel“
Na, wie vorausschauend, dass ich in dem Beitrag schon selbst Zweifel daran angemeldet hatte, ob es sich wirklich um eine Montage handelt. Wäre da nicht die unpassende Perspektive des Fensterahmens gewesen und diese seltsame Spiegelung unterhalb der Tischplatte.
Beginnen wir damit und schauen wir uns noch einmal das Bild aus der gedruckten Anzeige an. Mein Betrachtungsfehler war, dass ich nicht erkannt hatte, dass der Bereich unterhalb des Fensterrahmens keine Fortsetzung des Fensters ist, mit einem schmalen, eigens gerahmten (und daher eigentlich konstruktiv überflüssigen) Fensterteil über dem Boden – sondern die Spiegelung des Fensters im polierten Fußboden! Betrachtet man das Bild oben, wird das unmittelbar deutlich – so abgeschnitten wie in der Anzeige, kann dieser falsche Eindruck entstehen. Damit ändert sich auch die vermutete Position des Mannes im Raum und bietet nun genug Platz für den Tisch und Kubus mit Vase im Hintergrund. Auf jeden Fall: mein Fehler!
Es bleibt ja immer noch die unpassende Perspektive des Fensterrahmens mit einem Fluchtpunkt, der weit über dem Horizont der Stadt im Hintergrund liegt.
Dann kam mir eine Idee: Hatte der Fotograf/Monteur vielleicht mehr Gebäude im Bild unterbringen wollen und deswegen das Fenster horizontal ein wenig gestaucht? Das würde nach sich ziehen, dass der Fensterahmen steiler verläuft und sein Fluchtpunkt nach oben wandert. Gerade, als ich das ausprobieren wollte, kam eine neue Mail von Herrn Fenchel mit einem besseren Bild, das es erlaubte, mit einem längeren Ausschnitt des Fensters und einem Fliesenboden die Fluchtlinien noch exakter zu konstruieren.
Nun erlaubte die Web-Anzeige, die Horst Fenchel entdeckt hatte, die volle Rekonstruktion der Szene. Deutlicher als im schlechten Zeitungsdruck ist hier auch zu erkennen, dass sich der Fensterrahmen selbst in der Scheibe spiegelt, ein weiteres Indiz dafür, dass die Szene wohl nicht montiert ist … oder?
Aber nun wurde es richtig katastrophal: Denn das neue Bild bestätigte nicht nur, dass der Fluchtpunkt des Fensterrahmens viel zu hoch liegt (Bild ganz oben), sondern auch, dass der rechte Fluchtpunkt der Bodenfliesen noch viel höher liegt. Die linke Begrenzung des Bodens, gleichzeitig die Unterkante des Fensters, läuft allerdings nicht zu diesem Fluchtpunkt. Und das ist nicht alles – einen linken Fluchtpunkt dieser Fugen gibt es überhaupt nicht. Die Fluchtlinien der ersten beiden Fliesenreihen streben sogar auseinander, statt zusammenzulaufen, und die anderen deuten in alle möglichen Richtungen; jedenfalls konvergieren sie nicht in der Höhe des rechten Fluchtpunktes. Genau betrachtet sieht der Flesenboden so aus, als würde er in der Zimmermitte einsacken.
Wir haben also ein Bild, bei dem die Plausibilität dafür spricht, dass es an Ort und Stelle aufgenommen wurde und keine Montage ist. Die Spiegelungen im Boden, auch – erwartungsgemäß – in den einzelnen Fliesen abweichend, sprechen dafür, dass Mann und Tisch sich hier befanden. Man sieht die Frankfurter Skyline so aus diesem Fenster – und trotzdem passt perspektivisch nichts zusammen.
Das erinnert an die Papst-Montagen aus Rom, die ich hier vor ein paar Wochen vorgestellt hatte, Teil 1 und Teil 2, wo auch die unterschiedlichen Aspekte und Komponenten nicht unter einen Hut zu bringen waren.
Wie auch immer, am Ende waren wir uns darüber einig, dass in diesem Bild so manches nicht stimmt. Nur: Warum war hier eine Montage überhaupt nötig gewesen, wenn eigentlich alle Komponenten für die gewünschte Szene vorhanden waren? Mal sehen, ob die Helaba dazu etwas beitragen kann. Jedenfalls meinte auch Horst Fenchel am Ende:
„Lieber Doc Baumann,
ja, es wird völlig verwirrend, wenn man das hochformatige Motiv analysiert. Das ist wirklich schräg und für mich nicht ganz nachvollziehbar. Die Bodenfliesen mit ihren uneinheitlichen Fluchtlinien-Schnittpunkten … bizarr und absolut unerklärlich.
Man könnte glatt denken, ein Grafiker hat sich heimlich einen Spaß gemacht, Motto: Wie viele Fehler habe ich in diesem Bild versteckt?
Mein Fazit: Da wurde doch mehr gebastelt, als ich anfangs vermutet habe. Gute Idee, das Thema noch mal aufzugreifen und zu schauen, was die Leser dazu sagen. Vielleicht kommen wir dann des Rätsels Lösung näher. Nick Knatterton würde sagen: „Kombiniere …“
Bei meinen Montagen habe ich häufig mit Strukturen von Bodenbelägen gekämpft. Wahrscheinlich ist es dem Bildbearbeiter ähnlich gegangen. Ich nehme an, dass er ein Foto des Raums mit der Blumenvase und ein weiteres mit dem an anderer Stelle fotografierten Banker am Schreibtisch zur Verfügung hatte. Den Art Director im Genick sollte der Bildbearbeiter beides montieren.
Dabei sind ihm einige Fehler unterlaufen:
– Banker und Schreibtisch haben nicht genug Platz (Block für die Vase 1,5 Fliesen; 2,5 Fliesen reichen nicht von der hinteren Schreibtischkante bis zur Fußspitze)
– Fugen der Fliesen laufen perspektivisch chaotisch (Fluchtpunkte stimmen nicht)
– Spiegelung des vertikalen Fensterrahmens ist nicht einheitlich (in unterer Fliese wesentlich weicher)
Bei diesem Ausgangsmaterial und der beschränkten Zeit (das Argument kommt ja immer wieder) hat sich der Bildbearbeiter aber noch recht gut geschlagen.
Zu meinem Bild „Formvollendete Statik“ hatte ich keine Zeitvorgabe. Ich tauschte den Boden aus und passte ihn an die Perspektive des Bauwerks an
( https://www.w-fotografie.de/instagram-fuer-fotografen-3-meine-experimente-fuer-mehr-follower/ ).
Fluchtpunkte und Perspektive werden hier von Yadegar Asisi prima erklärt: https://www.youtube.com/watch?v=mKIKi-RIUHQ
Ich wundere mich ein wenig über die ausführliche Diskusion bei diesem Bild oder ich liege falsch. Beim ersten Bilck auf das 2. Bild ist es für mich ein Bild eines AzuBis im ersten Lehrjahr der vergessen hat unter dem Schreibtisch zu retuschieren und dem nicht klar ist dass der Schreibtisch oval ist und deshalb die rechts Handhaltung nicht passt die hängt in der Luft. Danach findet man die ganzen angeführten Fehler. Ich würde mich für meinen Azubi freuen er kann aus diesem Bild viel lernen.
Grüße Frank
Der Tisch ist nicht oval (wie fälschlicherweise im Text geschrieben), lediglich die Längsseiten sind konvex gerundet. Die Handhaltung sieht zwar unbequem aus, passt aber trotzdem. Bei genauerem Hinsehen kann man sogar die von der Hand umfasste Tischecke erahnen.
Sie scheinen – wie natürlich erst mal jeder – von rechten Winkeln zwischen den Hauswänden (und Fensterrahmen) auszugehen. Nach Betrachtung der von Herrn Fenchel verlinkten Fotos stelle ich fest, dass rechte Winkel in diesem Gebäude wohl eher Mangelware sind. Die Winkel der Außenflächen sind absolut faszinierend und wenn ich keinen Knick in der Optik habe (ganz sicher bin ich mir da nicht), dann hat auch der im analysierten Foto abgelichtete Innenraum diesbezüglich etwas zu bieten. Dies ist im nachfolgend verlinkten Foto zu erkennen:
https://www.workthere.com/media/759652/seidaris-photography-collectionbc-frankfurt_nextower-26.jpg
Meines Erachtens ist das Fenster der Stirnseite mit der rechten oberen Ecke zum Betrachter hin gekippt (zu erkennen an den oben und und unten unterschiedlichen Abständen zum inneren Fensterrahmen rechts. Ob die Stirnseite rechtwinklig zur rechten Wand steht, kann ich auch nach längerer Betrachtung nicht erkennen. Aber wenn mich nicht alles täuscht, ist auch die Decke nicht waagerecht, sondern verläuft nach außen-oben. Für das Foto nicht relevant, aber für den Gesamteindruck spannend: Die Säulen im Raum rechts stehen ebenfalls nicht senkrecht.
Ich meine, dass diese ganzen architektonischen „Winkelzüge“ zu dem seltsamen Eindruck des analysierten Fotos führen, weil das Auge – oder besser gesagt das Gehirn – automatisch rechte Winkel zu konstruieren versucht.
Übrigens ist das von mir verlinkte Foto auch hilfreich beim verstehen der seltsamen Spiegelung hinter dem Tisch. So ganz habe ich es noch nicht verstanden, aber der Metallblock scheint die Spiegelung des Bodens zu spiegeln.