Altglas

Ein Altglas-Umzug

Nachdem meine Entscheidung gefallen war, lief die Zeit und verlangte eine Punktlandung: Bis zum Umzug in dreieinhalb Monaten musste alles abgewickelt sein. Die wichtigen Termine waren schnell fixiert. Anschließend musste der Hausrat virtuell in seine Bestandteile zerlegt werden. Der Spediteur kalkulierte 50 Kubikmeter Ladevolumen und 100 Umzugskartons. Der Altglas-Umzug von rund 100 Objektiven war mein kleinstes Problem, sie brauchten nur wenig Platz.

Ein Altglas-Umzug

Einen Schock lösten die 100 Umzugskartons aus. Angeliefert auf einer Europalette, passten sie von der Höhe auch mit gutem Zureden nicht in die Garage. Das Volumen einer 100 Meter Rolle Luftpolsterfolie war ebenfalls beeindruckend. Eine Begehung mit Mitarbeitern der örtlichen Hausratsammelstelle trennte Verwertbares von zu Entsorgendem.

Fotoliste. Ein Altglas-Umzug
Fotoliste: Die Zusammenstellung zur Kalkulation des Ladevolumens verschaffte eine anschauliche, bisweilen schmerzhafte Übersicht.
Systembehälter. Ein Altglas-Umzug
Altglas-Umzug: Die Systembehälter mit alten Objektiven ließen sich mit Luftpolsterfolie ausstopfen und in Umzugskartons stapeln.
Leergut. Ein Altglas-Umzug
Sinnlos: Originalverpackungen von Kameras und Objektiven füllten drei Umzugskartons. Nach drei Monaten im neuen Keller wanderten sie in den Müll.

Entsorgung

Große Styroporplatten, die als Lichtreflektoren gedient hatten, landeten auf dem Wertstoffhof. Ein 5-Liter-Kanister mit gebrauchtem Film-Fixierer sorgte für hochgezogene Augenbrauen und die Frage, ob das wirklich privat sei. Entsorgt wurden auch über 1000 Bücher, die bestenfalls einen Stückpreis von 12 Cent erzielt hätten. Das Kleingedruckte bei Momox, Rebuy & Co limitiert ihren Anteil pro bezahltem Ankauf drastisch und macht sie zu Altpapier, was ein lokaler Entsorger entgegennahm.

Überflüssig. Ein Altglas-Umzug
Überflüssig: Analoge Kameragehäuse wurden in 5er Packs verschickt. Die digitale Marvica wanderte zusammen mit etlichen Styroporplatten, die als Lichtreflektoren gedient hatten, auf den Wertstoffhof.

Verkäufliches

120 Kilo Bücher waren verkäuflich, satte 40 Kilo Kabel ebenfalls. 250 Schallplatten en bloc kaufte ein auf gebrauchte Vinyl-Tonträger spezialisierter Shop in München. Zum Verkaufsschlager entwickelten sich die IKEA-Regale „Ivar“ und „Sten“. Klassisches Werkzeug folgte anderen Kaufmustern. Manches Teil, wochenlang im eBay-Kleinanzeigenportal online, fand plötzlich Spontan-Abholer, wenn nach Ladenschluss oder sonntags große Schraubzwingen, Schweißelektroden, Elektrohobel oder eine Heckenschere gebraucht wurden. Besonders kurios war ein junger Abholer, der eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit endlich die Klingel benutzte und mir verärgert mitteilte, bereits drei Nachrichten geschrieben zu haben, dass er vor der Tür stehe.

überzählig. Ein Altglas-Umzug
Altglas-Umzug: Überzähliges Foto-Equipment war nach zwei Tagen ausschließlich an Selbstabholer verkauft. Die No-Show-Rate vermeintlicher Käufer tendierte gegen null.
Truck
Endlich: In vier Stunden waren 50 Kubikmeter Umzugsgut verladen und der Truck wieder auf dem Weg Richtung Usedom.

Punktlandung

Einen Tag vor der Ankunft des Möbelwagens auf der Insel zu sein, sorgte für den entscheidenden Vorsprung, Dinge vorzubereiten. Wiederum reichten vier Stunden, um die Ladung planvoll in Wohnung und Keller zu verteilen. Bis zum Abend waren elementare Dinge wie Küchentisch und Bett wieder montiert. Die Kaffeemaschine hielt die Arbeitsmoral aufrecht und der Kühlschrank spendierte ein kaltes Feierabend-Bier. Auch Küchenbauer und Telekom hielten Wort, was die Grundfunktionalitäten schnell vervollständigte. Die Technik im Arbeitszimmer war wieder betriebsbereit, ansonsten hatte es noch den Charme eines überfüllten Hochregallagers. Ganz fix ging der Altglas-Umzug über die Bühne. Der Kameraschrank war umgehend eingeräumt, nur an Fotografieren war vorerst kaum zu denken.

Zwischenlager
Zwischenlager: Im Wohnzimmer lagerten deutlich länger als erwartet Werkzeug, Kleinmöbel und volle Umzugskartons.

Die ersten 100 Tage

Bis Mitte Oktober war es meistens warm genug für eine Mittagspause am Strand. Wenn hinterm Haus die Gärtner werkelten, gönnte ich mir das Vergnügen, ihnen mit einer Tasse Kaffee am Fenster stehend bei der Arbeit zuzuschauen – nie wieder selber Rasen mähen! Erst kurz vor Weihnachten fühlte sich die Wohnung wieder wohnlich an. Rückblickend ist jeder Montagmorgen in guter Erinnerung. Beim Aufstehen schmerzten weit weniger Körperteile als üblich – sonntags hatte der Bohrhammer Pause.

Strand
Erhebend: In zwei Minuten aus der Wohnung zu Fuß zum Strand.

Inselwinter

Die Lichtsituationen faszinierten immer wieder aufs Neue, forderten aber eine dringende Anschaffung: Fotohandschuhe. Nicht weil es besonders kalt war, die Temperatur fiel tagsüber selten unter null Grad. Doch der allgegenwärtige Wind sorgte in wenigen Minuten für eisige, ungelenke Finger. Die konnten bestenfalls noch mit Autofokus-Objektiven knipsen. Lange Winterabende boten Zeit und Muße, E-Books zu überarbeiten und die erste Auflage des Vintageobjektiv-Buchs vorzubereiten.

Eiskalt
Eiskalt: Ohne Fotohandschuhe geht im Winter nicht viel.

Lernerfahrungen: Hauptsaison im Seebad

Unerwartet waren die Nebenwirkungen einer regelmäßig bespielten Konzertmuschel. Die beste Zeit zum Einkaufen: Morgens um 7 Uhr, dann ist nur die Schlange beim Bäcker lang. Am späten Nachmittag findet auf den Supermarktparkplätzen das allabendliche Verkehrsrodeo statt. Einkaufswagenschieber, irrlichternde Fußgänger, freilaufende Kinder und Radfahrer streben auf den kürzest möglichen Wegen dem Eingang zu. Dazwischen suchen Autos Parklücken. Kritisch sind auch Regentage, „wenn der Strand zu hat“. Das sorgt zuverlässig für Stau an üblicherweise unkritischen Stellen. Mein erster Insel-Sommer bescherte mir eine steile Lernkurve.

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Bernd Kieckhöfel

Bernd Kieckhöfel hat einige Jahre für eine lokale Zeitung gearbeitet und eine Reihe von Fachartikeln zur Mitarbeiterführung veröffentlicht. Seit 2014 schreibt er für Fotoespresso, DOCMA, FotoMagazin sowie c't Digitale Fotografie.

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