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Kunst – Nicht-Kunst – schlechte Kunst?

Was ist eigentlich das Gegenteil von Kunst? Keine Kunst? Schlechte Kunst? Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft stellte sich diese Frage im deutschen Kulturbetrieb beim Rückblick auf die Malerei und Plastik der NS-Zeit. Vor allem aber: Was passierte nun mit den Künstlern, die diesen völkischen Stil geprägt hatten? Eine Ausstellung und ein neues Buch gehen diesen Fragen nach; Doc Baumann hat es für Sie angeschaut.

Kunst – Nicht-Kunst – schlechte Kunst?
Großzügiges Entgegenkommen in Nazi-Manier: „Sie können somit weiterhin Ihre künstlerische Tätigkeit ausüben.“
(Anschreiben der Reichskammer der Bildenden Künste an Eduard Bischoff
September 1944 © Ostpreußisches Landesmuseum, Lüneburg)

Wie es der Zufall will, arbeite ich gerade an einem Essay über Cancel Culture und denke daher schon eine Weile über das Verhältnis von Künstler und Werk nach. Zu einem endgültigen Ergebnis bin ich noch nicht gekommen, aber ich neige dazu, Oscar Wilde zuzustimmen, der einmal geschrieben hat: „Ob jemand Wechsel fälscht, sagt nichts über sein Geigenspiel.“ Dagegen ist mir bisher kein Argument eingefallen. Ein Werk sollte man auch dann beurteilen können, wenn man nicht weiß, wer es geschaffen hat und welche unangenehmen Eigenschaften dieser Mensch womöglich hat. Ob es ästhetisch, formal, handwerklich und von seiner Aussage her Zustimmung findet, sollte also unabhängig vom Künstler entscheidbar sein. Dasselbe gilt etwa im Bereich der Wissenschaft: So war Pascual Jordan ein überzeugter Nazi – er hat aber Wichtiges zur Entwicklung der Quantenmechanik beigetragen. Als Person ist er damit diskreditiert; seine Formeln dagegen bleiben angemessene Beschreibungen der Realität.

Und schon sind wir bei den Nazis. Die waren ja keine Guerilla-Truppe, die das Land hinterrücks erobert und allen Deutschen ihre zuvor unbekannte Ideologie aufgezwungen hätten; sie wurden gewählt und hatten einen mehr oder weniger breiten Rückhalt in der Bevölkerung; manche erkannten erst nach einem Dutzend Jahre Tausendjährigen Reichs, worauf sie sich da eingelassen hatten. Dabei hätte es jeder in „Mein Kampf“ nachlesen können; die Auflage war ja groß genug; Zahllose wurden mit dieser Gabe etwa zur Eheschließung oder zu Jubiläen zwangsbeglückt. Zustimmung zur völkischen und antijüdischen Ideologie dürfte es insbesondere im Bereich der Kunst gegeben haben; die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ (1937) besuchten zwei Millionen. Wohin es gehen würde, hatten aber bereits 1933 öffentliche Bücherverbrennungen gezeigt. Niemand konnte sagen, die weitere Entwicklung habe sich nicht absehen lassen.

Kunst – Nicht-Kunst – schlechte Kunst?
Auszug „Bildende Kunst“ der sogenannten Liste der „Gottbegnadeten“
(Berlin, September 1944 © Bundesarchiv Berlin, R 55/20252a, Bl. 2)

Ausstellung und Begleitpublikation „Die Liste der ,Gottbegnadeten‘ – Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ bezieht sich auf eine von der NS-Führung zusammengestellte Liste von Künstlern (aller Bereiche), deren Werke der NS-Ideologie entsprachen, bemerkenswerterweise unabhängig von einer Parteimitgliedschaft. Schwerpunkt sind nicht deren Werke, sondern ihre Tätigkeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bundesrepublik.

Das Ergebnis lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Es gab keinen tiefgreifenden Einbruch und Karriereknick; nach kurzer Schamfrist arbeiteten alle ungestört weiter, erhielten lukrative Aufträge für Kunst im öffentlichen Raum, von staatlicher Seite, Wirtschaftsunternehmen, Kirchen oder von Sammlern, sie wurden in Ausstellungen gewürdigt. Einer durfte gar ein Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944 gestalten. Nennenswerte Thematisierung ihrer Vergangenheit und Kritik gab es kaum.

Diese späte Aufarbeitung ist nun ohne jeden Zweifel ein wichtiges Verdienst dieses „Gottbegnadeten“-Projektes. Mehr als die Hälfte des Bandes nimmt eine von knappen Texten begleitete Fotodokumentation ein, die – ergänzt um Landkarten mit entsprechenden Markierungen – diese Werke in ihrem Umfeld zeigt.

Allerdings gibt es leider auch manches an diesem Projekt auszusetzen. Um gleich mit der Fotodokumentation zu beginnen: Etliche der Bilder sind einfach schlecht, wie aus einem Familienalbum, in dem die Aufnahme der Kinder am Strand aus 95 Prozent Strand besteht und irgendwo mit der Lupe auch noch ein paar Menschen erkennbar sind. Die Grundregel für Fotoneulinge „Nah ans Objekt!“ hat sich hier wohl noch nicht herumgesprochen. Viele der Werke sind so weder zu erkennen noch gar zu beurteilen.

Der nächste Mangel ist das konzeptionelle Durcheinander des ersten Teils. Ein paar grundlegende Aufsätze, lose und ohne inhaltlichen Bezug dazwischengestreut doppelseitige Vorstellungen der wichtigsten Protagonisten. Mal ihr Porträt, mal ein Werk, mal etwas anderes. Ein eigenes Bild von den Arbeiten kann man sich so kaum machen – daher auch nicht einschätzen, inwieweit diese Werke nun spezifisch nationalsozialistisch-völkisch waren oder einfach zufällig ins Konzept passten.

Die Aufsätze des Buches sind durchaus kenntnis- und aufschlussreich. Kritisiert werden kann allerdings, dass sie etliche Fragen nur aufwerfen, aber keine klaren Antworten darauf liefern.

Der Band wird eingeleitet mit einem Zitat des einflussreichen Nachkriegs-Kunsthistorikers Werner Haftmann, der der Nazikunst attestierte, die sei als Nichts im Nichts verpufft; es habe sie eigentlich nie gegeben und nur „der trostlos unkünstlerischen Phantasie des Führers zur Dekoration gedient“.

Haftmann steht derzeit in einer anderen Berliner Ausstellung in der Kritik, als Mitbegründer der documenta-Ausstellungen in Kassel, die sich als Neuanfang nach den dunklen Jahren und Anknüpfungen an die vorherige Moderne verstanden, aber – dank Haftmann – vieles davon aussparten, darunter jüdische Künstler.

Auf die selbst gestellte Frage, ob Nazi-Kunst nun überhaupt Kunst war oder bloße völkische Dekoration und Kitsch, findet sich keine klare Antwort. Vielleicht ist das auch zu viel verlangt. Aber wenn man diese Frage schon aufwirft, darf man mehr erwarten. Immerhin ist schon im Titel von „Künstlern“ die Rede – und die produzieren ja nun mal definitionsgemäß „Kunst“ (ob man die mag oder nicht. Der Welt wäre jedenfalls viel Elend erspart geblieben, hätte die Wiener Kunstakademie den Postkartenmaler Adolf Hitler zum Studium angenommen; er hätte sicherlich einiges dazugelernt, wäre ein ordentlicher Maler geworden, hätte sein Brot mit Verkäufen, Aufträgen und vielleicht sogar Ausstellungen verdient und keine Zeit gehabt, eine braune Revolution anzuzetteln.)

Kunst – Nicht-Kunst – schlechte Kunst?
Nicht alle Werke der NS-Künstler sind so diletantisch steif wie dieses Gemälde, das Werner Peiner 1954 für den Plenarsaal des Rathauses Hattigen schuf, wo es bis 2007 hing.
(Werner Peiner, Allegorie des Friedens, Hattingen, 1954
© Stadtmuseum Hattingen, Foto: LWL–Industriemuseum Dortmund)

Es hilft ja nicht zu postulieren, ein bestimmtes Objekt sei gar keine Kunst (obwohl es auf den ersten Blick so aussieht: Rahmen drumrum, Sockel drunter …) Wenn es keine Kunst ist, obwohl es vielen Kriterien für Kunstwerke entspricht, bedarf das einer guten Begründung. Also schlechte Kunst? Oder belanglose Kunst, für schlechte Zwecke instrumentalisiert?

Ein weiterer Aspekt, der zwar angerissen, aber nicht in der notwendigen Tiefe weiterverfolgt wird, ist zentral für das Projekt: Warum konnten diese Künstler, obwohl sie geförderte Protagonisten des „Dritten Reichs“ gewesen waren, ihre Arbeit nach dessen Zusammenbruch bruchlos fortsetzen? Warum wurden sie vom Staat, von Institutionen, von privater Seite beauftragt, ihre Werke erworben?

Die Antwort hat zwei Seiten, und beide sind fast banal: Wie in allen anderen Bereichen des Lebens waren die Menschen nach 1945 dieselben geblieben, sie hatten sich mit dem Nazi-Regime irgendwie arrangiert gehabt, begeistert oder widerwillig – und wenn sie das nicht hatten, waren sie emigriert oder ermordet worden. In allen Bereichen – Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft oder eben auch Kunst – konnte also nur mit denen weitergemacht werden, die noch da und zudem kompetent waren. Nur wenige blieben im Netz der Entnazifizierungsverfahren hängen, die meisten duften nach kurzer Zeit einfach weiterarbeiten. (Schließlich „bewiesen“ diese Verfahren ja, dass es kaum überzeugte Nazis gegeben hatte. Fast alle waren kaum belastet, unwillige Mitläufer, eigentlich heimliche Widerstandskämpfer.) In der DDR war es kaum anders.

Die zweite Seite: Die sogenannte moderne, nicht-figurative Kunst hatte durchaus nicht nur Freunde, sondern auch viele Gegner, oder jedenfalls Menschen, die sich davon nicht angesprochen fühlten (ohne dass sie deswegen gleich Nazis sein mussten). Wer also Werke in Auftrag geben oder erwerben wollte und eine Präferenz für figurative, nicht-abstrakte Kunst hatte – das betraf besonders Porträts, da Auftraggeber meist mehr Wert auf Wiedererkennbarkeit legen als auf überbordende Kreativität –, konnte am einfachsten auf die Künstler zurückgreifen, die nun einmal da waren.

Die waren 1933 ja nicht als Nazi-Maler aus  dem Ei gekrochen, sondern hatten überwiegend schon zuvor in ähnlicher stilistischer Ausrichtung gearbeitet und knüpften nun daran an.

Das wird in den Aufsätzen zwar erwähnt, aber nicht hinreichend vertieft. Hinzu kommt dort eine implizite Wertung: Als sei die Vorliebe für Figuratives und die Ablehnung der Moderne etwas Anrüchiges und gleichbedeutend mit einer reaktionären, zumindest konservativen Haltung.

Man kann die ganze Sache auch anders und schärfer aufziehen und sich die Frage nach dem ästhetischen Wert der Werke weitgehend ersparen, ob diese nun während der NS-Herrschaft entstanden oder danach (oder davor).

Sie erinnern sich an das Wilde-Zitat? „Ob jemand Wechsel fälscht, sagt nichts über sein Geigenspiel.“ Ob es einem gefällt oder nicht, gilt dieser Satz auch für Nazis. Die praktische Unterscheidung ist eine andere: Das Geigenspiel als solches mag gefallen – der Geigenspieler selbst hingegen Ablehnung hervorrufen.

Die eigentliche Frage scheint mir daher zu sein, ob die Künstler der Liste der „Gottbegnadeten“ in der jungen Bundesrepublik – weitgehend unabhängig von der ästhetischen Qualität ihrer Werke – ihre öffentlichen Aufträge erhielten, obwohl sie während der NS-Zeit erfolgreich gewesen waren … oder vielleicht gerade deswegen. (Die dritte Variante: Es interessierte kaum jemanden, weil alle irgendwie Dreck am Stecken hatten.)

Wer einen Auftrag vergibt, fördert den Beauftragten. Unmittelbar durch die Zahlung des Honorars, mittelbar durch die so verschaffte Reputation. Ist die fragliche Person stark belastet, müssen Auftraggeber entscheiden, ob ihnen der erwartete ästhetische Gewinn wichtiger ist als die Förderung. Angesichts der personellen Kontinuität auch der Entscheidungsträger darf vermutet werden, dass die Bevorzugung der Förderungen oft nicht zufällig oder nur nach Qualifikationskriterien erfolgte.

Diesem Problem stellt sich das Projekt nur am Rande. Dennoch bietet es eine wichtige Materialbasis, und es ist ausdrücklich anzuerkennen, dass es dieses (kunst-)historische Phänomen aufgegriffen und damit ins öffentliche Bewusstsein gebracht hat. Peinlich für die Zunft, dass dazu erst ein Dreiviertel-Jahrhundert vergehen musste.

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Eine persönliche Erinnerung zum Abschluss: Mehrfach wird im Buch erwähnt, die Namen der damaligen NS-Künstler seien heute wohl niemandem mehr vertraut. Da muss ich widersprechen, zumindest ich kenne viele. Und das kam so: Als ich in den 70ern Kunst studierte, gehörten dazu natürlich auch Kunstgeschichtsvorlesungen. Irgendwann waren auch mal die Zeit des „Dritten Reichs“ und der sozialistische Realismus dran, aus Sicht des Professors bei Malerei und Plastik formal fast gleichzusetzen. Ich protestierte heftig, es kam zu einem Wortgefecht, an dessen Ende er mir zornig zurief, wenn ich alles besser wüsste, könnte ich ja die nächste Vorlesung selber halten. Ich sagte spontan zu. Zu meinen Vorbereitungen gehörte auch die Anschaffung eines dicken Stapels alter Hefte „Die Kunst im Deutschen Reich“. Darin waren alle vertreten.

Dann kam der große Tag, der Hörsaal war rappelvoll, auch fast alle Dozenten der Hochschule waren gekommen. Vieles in meiner Vorlesung war ordentliche kunsthistorische Methodik – vieles allerdings auch schlechte Wissenschaft; das Unterbringen möglichst vieler Marx-Zitate allein reicht nicht für eine gute Argumentation. Dennoch wurde der Vortrag ein großer Erfolg. Während der Studienzeit blieb das Verhältnis zu diesem Kunsthistoriker angespannt – später nach meiner Promotion wurden wir gute Freunde.

PS: Wen’s interessiert – mein anfangs erwähntes Essay, in dem ich mich mit diesen Fragen eingehender befasse, erscheint in der Ausgabe 4/2021 der Berliner Zeitschrift NITRO.

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Die Ausstellung wird noch bis zum 5. Dezember 2021 im Berliner Deutschen Historischen Museum gezeigt.

Die Begleitpublikation „Die Liste der ,Gottbegnadeten‘ – Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“, herausgegeben von Wolfgang Brauneis und Raphael Gross, ist im Prestel Verlag erschienen. Der Katalog hat 214 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ist broschiert und kostet  34 Euro.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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2 Kommentare

  1. Ich habe eine Frage zum Inhalt, die Sie mir vielleicht beantworten können.
    Kommen in dem Buch auch Künstlerinnen vor? Auf der Liste habe ich bei den bildenden Künsten nur Männer finden können.
    Der Titel läßt ja auch darauf schließen, dass nur Männer vorkommen. Ist dem so?
    Danke für die Antwort.

    1. Auf der Liste der bildenden Künstler gibt es tatsächlich nur Männer, und so ist es auch im Buch. Allerdings umfasste die komplette Liste auch andere Kunst-Sparten, die im Buch nicht vorgestellt werden, auf denen auch Frauen aufgeführt worden waren.

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