Bildkritik: Helden-Perspektiven und gut bewertete Faltbadewannen
Immer wieder ist bei Filmplakaten mit Helden im Vorder- und Gruppen im Hintergrund zu sehen, dass die Perspektive beim Montieren recht eigenwillig eingesetzt wird. Doc Baumann stellt Ihnen ein neues Beispiel in seiner Bildkritik vor; als Zugabe gibt’s eine handliche Badewanne und einen Erfahrungsbericht zu Bewertungen im Web.
Da Helden überragende Figuren sind, begegnet man ihnen nicht auf Augenhöhe, sondern blickt ehrfürchtig von weit unten zu ihnen empor. Die visuelle Konsequenz: Sie ragen hoch über dem Betrachter auf. Das führt mitunter zu schwierigen perspektivischen Bedingungen.
Im einfachsten Fall ist es ja so: Der Fotograf steht und hält die Kamera vors Auge. Das Model – allein oder in einer Gruppe – steht ebenfalls. Und da der Horizont immer in Augenhöhe des Betrachters verläuft – egal, ob Sie am Meer im Sand liegen oder auf der Aussichtsplattform eines Wolkenkratzers stehen –, liegen die Augen aller abgebildeten Personen notwendigerweise auf dem Horizont. (Mehr oder weniger jedenfalls, das hängt natürlich auch von der Größe des Fotografen und der fotografierten Menschen ab.)
Soll nun eine Person besonders heroisch wiedergegeben werden, so dass der Betrachter zu ihr aufblicken muss, bedingt das einen niedrigeren Kamerastandort. Je nachdem, wie ausgeprägt der Effekt wirken soll, in Brust-, Bauch-, Leisten- oder gar Kniehöhe. So weit, so gut. Die Folge daraus ist allerdings, dass nun nicht mehr die Augen weiterer Personen im Hintergrund auf Horizonthöhe liegen werden, sondern – gehen wir von einer Aufnahme aus der Bauchhöhe aus – eben deren Bäuche.
Brigitte aus Potsdam hat uns das oben gezeigte Bild mit dem Kommentar geschickt: „Dieses Foto habe ich in einer Fernseh-Programmzeitschrift entdeckt. Es stand bei der Beschreibung des Films ‚Congo Murder‘. Ich habe den Eindruck, dass hier etwas mit der Größe der Soldaten nicht stimmt, kann aber nicht so richtig sagen, was es ist. Da Sie manchmal in Ihrer Bildkritik solche Bilder analysieren, schicke ich es Ihnen zu, vielleicht können Sie mehr dazu sagen.“
Dass hier in der Tat so einiges nicht stimmt, fällt schnell auf. Man hat nicht den Eindruck, dass die Soldaten mit zunehmender Entfernung gleichmäßig kleiner erscheinen. Machen wir uns also an eine perspektivische Analyse der Szene. Je mehr allerdings montiert wurde, um so schwieriger ist das, weil es kaum konsistente Inhalte gibt, die man klar zueinander in Beziehung setzen kann.
Hilfreich sind oft Gebäude. Die im Hintergrund rechts sind leider recht blass, dennoch reicht es vielleicht aus, sie für die Konstruktion der (schwarzen) Fluchtlinien zugrundzulegen. Sie laufen in einem Punkt in der Bildmitte zusammen; eine horizontale Linie durch diesen Fluchtpunkt wäre dann der Horizont dieser Szene.
Machen wir die Gegenprobe. Dazu habe ich den (im Bild) linken Fuß des linken vorderen Mannes (der Schauspieler Tobias Santelmann, im Film eher ein Anti-Held als ein Held) mit einer (blauen) Linie mit dem des linken Soldaten verbunden, entsprechend ihre Köpfe. Wo sie sich schneiden, müsste der Horizont sein. Entsprechend bin ich mit dem rechten Schauspieler und dem rechten Soldaten vorgegangen. Das führt zu einem weiteren Fluchtpunkt. Beide liegen zwar nicht exakt auf einer Höhe, wie das bei einem ordentlichen Horizont der Fall sein sollte, aber doch immerhin in einer recht schmalen (im linken Bildteil grün dargestellten) Zone. Damit das Verfahren genau stimmt, müssten alle Personen genau gleich groß sein, was nicht zutrifft.
Wiederholt man diese Konstruktion nun allerdings für die weiter entfernten Soldaten, so zeigt sich, dass die sich ergebenden Fluchtpunkte nun über einen erheblich breiteren Bereich verstreut sind (die rote Fläche rechts markiert die Schwankungsbreite). Fazit: Die drei vorgenommenen Horizontkonstruktionen führen zu keinem einheitlichen Ergebnis, sondern weisen erhebliche Differenzen auf. Die Szene kann also nicht fotografiert worden sein, sondern es handelt sich um eine Montage, in der die Bestandteile nach (schlechtem) Augenmaß willkürlich verteilt wurden.
Es gibt übrigens noch eine weitere Einflussgröße, die hier allerdings keine merkliche Rolle spielen dürfte: Ist der Boden nicht waagerecht, sondern steigt er an oder fällt ab, müssen die Konstruktionen diese Abweichungen einbeziehen.
So, wie unter „normalen“ Bedingungen die Augen aller abgebildeten Personen etwa auf Horizonthöhe liegen sollten, sind es bei der hier gewählten Aufnahmeposition die Bäuche. Vergleichen Sie die nachgestellte Montage mit einigermaßen stimmigen perspektivischen Bedingungen mit dem Original, so sehen Sie, dass die Größen der verschiedenen Personen im Hintergrund zum Teil erheblich abweichen.
Wo ich schon mal dabei war, habe ich die Szenenstaffelung hoch einmal so re-konstruiert, wie sie bei einer Aufnahme aus Augenhöhe aussehen würde; dieser Anblick ist vertrauter. Bei genauer Betrachtung wird Ihnen auffallen, dass der Schauspieler nicht nur perspektivisch angepasst wurde, sondern mit zunehmender Entfernung – Stichwort Luftperspektive – auch kontrastärmer wird.
Bleiben wir bei der Perspektive und schauen wir uns ein Beispiel eines chinesischen Herstellers auf Amazon an, das Thomas Ellmaier aus Wien entdeckt hat. Er schreibt dazu: „Im Anhang möchte ich ein Bild übermitteln, das aus meiner Sicht mehrere Fehler enthält:
1. Das Produkt scheint mir im Raum zu schweben.
2. Die Wanne ist laut Produktinformation 80 cm hoch und hat einen Durchmesser von ebenfalls 80 cm. So wie sie aber abgebildet (montiert) ist, erscheint sie mir im Vergleich zum Rest des Raumes aber viel größer.
3. Mit den genannten Maßen scheint es mir unmöglich, dass die Dame fast bis zu den Schultern darin versinken kann.
Ich bin gespannt, wie Du das siehst.“
Das Hauptproblem bei dieser Montage ist der Versuch, die lustige Faltbadewanne in den räumlichen Kontext eines realen Bades zu versetzen. Denn dadurch entstehen verschiedene Schwierigkeiten. Eine ist die Größe: Sie wirkt, wie beschrieben, zu groß für den Raum. Die zweite ist die Lichtsituation: Ein Schlag- und Kontaktschatten wurde nur leicht angedeutet, die Wanne scheint in der Tat zu schweben. Es gibt aber noch ein drittes Problem: Der Horizont der Hintergrundszene (grün) lässt sich aus dem unteren Fensterrahmen rechts und dem Wannensockel in der Bildmitte ableiten (rote Fluchtlinien).
Stimmt das mit der Perspektive der Wanne überein? Das ist nicht ganz einfach zu konstruieren, dazu würde man die Abweichung der Höhe der Ellipse des oberen Randes von der Höhe eines Kreises berechnen und zum Aufsichtswinkel der Perspektive in Beziehung setzen. Um lediglich zu demonstrieren, dass es so nicht stimmt, geht es aber auch einfacher: Rechts habe ich in identischer Breite die beiden Ellipsen übereinander positioniert, die sich aus dem Rand des Blumentopfes (schwarz) und dem der Wanne (blau) ergeben. Da der Wannenrand viel näher an der Horizonthöhe liegt, müsste er deutlich flacher erscheinen als der des Blumentopfes – in der Montage ist es aber genau anders herum.
Ob es tatsächlich unmöglich ist, dass eine Person, so wie dargestellt, in dieser Wanne hockt, weiß ich nicht genau; Ich habe es mal zwischen zwei Stühlen im Abstand von 80 Zentimetern versucht – unmöglich erscheint es mir nicht.
Dass es wirklich funktioniert, könnte man auch wegen der vielen positiven Bewertungen auf der Amazon-Seite annehmen. Da bin ich allerdings etwas vorsichtig. Vor einiger Zeit bestellte ich dort eine Lupe mit zehnfacher Vergrößerung. Nach Erhalt musste ich feststellen, dass die tatsächliche Vergrößerung nicht einmal zweifach ist. Ich verfasste zur Warnung anderer Interessenten eine entsprechend negative Rezension, ergänzt um ein Beweisfoto. Nach kurzer Zeit erhielt ich eine Mail, meine Bewertung würde der armen, kleinen Firma, deren Mitarbeiter hart und lange arbeiten würden, erheblich schaden, und man bäte mich daher, meine Rezension zu löschen, dafür würde ich 12 Euro als Einkaufsgutschein erhalten. Ich schrieb zurück, ob sie mich zum Lügen auffordern würden? Ich würde aber gern über das Angebot nachdenken, wenn sie mit dem tatsächlichen Vergrößerungsmaßstab werben würden (es steht dort immer noch „10x“ Vergrößerung). Danach kam eine ähnliche Mail von einer angeblichen Mitarbeiterin von Amazon, da waren wir schon bei 15 Euro. Ich habe dann nicht mehr geantwortet, aber inzwischen sind wir beim Stand von 40 Euro gelandet. So viel zum Thema Bewertungen …
Bei den unzähligen Bildern, die man täglich zu sehen bekommt, muss man eine dicke Haut bekommen. Bei solch „heroischen Bildern“ nimmt die Kamera gerne eine ähnlich tiefe Position ein, wie sie auch Sportfotografen nutzen. Also etwa kniend oder hockend bei großen Spielfeldern, bei anderen Sportarten, z.B. Beachvolleyball am Netz noch tiefer und gegen den Himmel fotografiert.
Wenn man davon ausgeht, dass die Betrachtungszeit eines Bilds in einem Museum sehr kurz ist (https://www.kulturbewahren.de/ausstellen/fb/a/news/betrachtungsdauer-von-kunstwerken/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=f8b07348d541b1f1665b7963326ef577) und man davon ausgehen muss, dass ein Gemälde bei einem Museumsbesuch eher noch interessiert und nicht als Beiwerk einer Produktwerbung betrachtet wird stellt sich die Frage, wozu man solche „Composings“ wirklich optisch korrekt gestalten soll.
Man kann solche Werbebilder wohl besser wie eine Karikatur werten, denn bei einer Karikatur geht es eigentlich vor allem darum, die Aussage, also das Wesentliche, zeichnerisch übertrieben hervorzuheben. Und das geschieht auch bei dem hier gezeigten Filmplakat.
Ähnliches gilt auch für die Badewanne, Wichtig ist, die Wanne klar zu präsentieren, garniert mit einer hübschen, textilbefreiten jungen Frau. Der Hintergrund kann eine Baderaum sein, doch eigentlich hat er nur die Aufgabe, das Produkt nicht so verloren vor einem weißen Hintergrund isoliert zu haben. Also kein Composing im eigentlichen Sinn. Und wer schaut denn den Hintergrund an? Die paar, die das tun, sind zu vernachlässigen.
Selbst so geübte Bildkritiker wie Doc Baumann brauchen für die Beweisführung und eine Anordnung eines mehrfach geklonten Menschen so viel Zeit, dass sich für eine Agentur der Aufwand einfach nicht lohnt.
Und dabei wurden noch gar nicht die ganz und gar unstimmigen Schatten des Filmplakats angesprochen, auch Sättigung und Tonwerte der Personen sind diskussionswürdig.
Nur zahlt sich bei solchen Bildern nicht mal der Zeitaufwand für eine Diskussion aus, außer man will damit Wissen vermitteln.
Man sollte die Betrachter nicht unterschätzen. Die meisten Menschen kennen sich mit der Theorie der Perspektive nicht aus und sie könnten daher nicht den Finger darauf legen, was an einem Bild nicht stimmt, aber dass etwas nicht stimmt, das bemerken sie schon. Wenn man mit einem Bild eine bestimmte Botschaft transportieren will, möchte man ganz bestimmt nicht, dass die Betrachter durch leicht vermeidbare Perspektivfehler abgelenkt werden und erst einmal darüber nachgrübeln, statt sich mit dem eigentlichen Inhalt auseinanderzusetzen.
Auch ich versuche, mich bei Bildern nicht vom Ersteller manipulieren zu lassen. Das haben ja auch schon alle Maler der in Museen hängenden Gemälde, wenn man es genau nimmt, gemacht. Wäre beim Fluchtlinienbeispiel mit dem einen geklonten Menschen die zweite Reihe durch eine Weitwinkelverzerrung und weiter dahinter durch den stärkeren Dunst und die scheinbare Dunstbildung dem Plakat ähnlicher geworden, hätte man den zweiten im Vordergrund etwas kleiner wachsen lassen und das Hemd anders gefärbt, wie vielen Leuten würde es bei einer repräsentativen Umfrage von nur zufälligen Betrachtern überhaupt aufgefallen, dass es Klone sind?
Man sollte nicht von wenigen, die aus bestimmten Gründen genau schauen, auf die Vielzahl der Drüberschauer schließen, noch dazu bei der heutigen Bilderflut.
Die Kritik zum Filmplakat finde ich angemessen. Jedoch das Thema aufblasbare Camping Badewanne im trüben himmelblau, im Kontext Perspektive, finde ich in diesem Zusammenhang sehr ambitioniert.
In dieser Darstellung, den als Bild oder Foto kann man ja es nicht mehr bezeichnen, stimmt ja mal so gar nichts.
Angefangen vom ursprünglichen Ausgangsbild, der blauen Kunststofftonne, die auf Grund der Lichtreflexe mit einem einfachem Scherenlicht aufgenommen wurde, ist dem Gestalter dieser Kompositionen alles entglitten. Gemäß der Maßangaben passt die junge Dame dort überhaupt nicht hinein. Es sei den, sie ist im realen Leben nur ca. 100cm groß und damit nicht älter als 12 Jahre. Erwachsene Fotomodelle sind im Regelfall deutlich größer und auch etwas älter. Und ganz nebenbei stimmt das Licht nicht, da die Haarsträhne bei diesem Lichtaufbau mindestens einen Schatten werfen müsste. Ferner weißt das Model eine helle Kontur auf, was ebenfalls auf eine Montage vermuten lässt. Soweit so gut.
Der weit größere Wahnsinn ist die Positionierung eines Wegwerfartikels in einem Luxusbad. Kein Mensch, der so ein Bad besitzt, würde auf die Idee kommen sich das Ding da hinzustellen. Also, was will uns der Anbieter damit sagen: „Das Ding ist ein Luxus-wohfühl-Artikel zum Schnäppchenpreis.“ Bei dieser Aussage, ist der Hintergrund nur als Beiwerk zu sehen. Eine perspektivisch korrekte Darstellung und Diskussion hierüber halte ich für sinnlos.
Allerdings, würde ich das Ding eher im Garten und Terrassenumfeld sehen und dann bitte auch perspektivisch korrekt, damit das ganze glaubwürdig erscheint. Des Weiteren vermute ich, dass den meisten Interessenten des Artikels die fehlerhafte Hintergrunddarstellung nicht auffällt und letztlich auch uninteressant ist. Dass, das Fußbad überdurchschnittliche Bewertungen erhalten haben soll, ist bei dieser Darstellung eher befremdlich.