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Der Untergang der Fotoindustrie

Es ist eher ungewöhnlich, dass Hersteller von Kameras und Objektiven selbst verkünden, dass sie dem Untergang geweiht sind, beziehungsweise dass ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Doch auf der Titelseite eines Prospekts des „professionellen Fotofachhändlers Calumet“ entdeckte DOCMA-Leser Nikolas Felter kürzlich eine Montage, in der Nikon genau dieses traurige Ende im Bild vorausgesagt wird. Als Zugabe gibt’s schräges Schwarzbrot von Edeka.

Der Untergang der Fotoindustrie
Trauriges Ende der Nikon-Produktpalette, vor staunenden Zuschauern versenkt in einem Alpensee. Peinliche Montage auf dem Titel eines Calumet-Prospekts – hier wurde alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann.

Wer für die schön-schreckliche Montage auf dem Cover des Calumet-Prospekts verantwortlich ist, den Nikolas Felter in seinem Briefkasten fand, weiß ich nicht. Das ist letztlich aber auch egal – ob es nun die Zuständigem beim Kamera- und Objektivhersteller oder beim Fotohändler sind, die hier ihre Inkompetenz in Sachen Foto demonstrieren, oder beide in trauter Kooperation, das Ergebnis spricht für sich.

Es ist ja schon peinlich genug, wenn immer wieder Autofirmen mit Milliardenumsätzen oder Möbelhäuser mit Billigangeboten Montagen zu veröffentlichen wagen, die kein Zehntklässler in einer Arbeitsgemeinschaft wagen würde abzuliefern. Wenn das aber auch noch Auftraggeber tun, die vom fotografischen Bild leben, wird es unerträglich.

Wie immer in solchen Fällen gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie haben’s nicht gesehen, weil sie es nicht besser wissen und keine Ahnung von Bildern haben – oder es erschien ihnen als nicht so wichtig: scheißegal, was den Kunden vorgesetzt wird. Beides lässt keine sonderlich erfreulichen Folgerungen zu. Und dann noch mit einem Spruch auftrumpfen wie „neue Maßstäbe definieren“! Nein danke, auf diese Maßstäbe verzichten wir gern. (Vielleicht war’s aber auch nur ein Druckfehler und es soll eigentlich heißen: „Ahnungslos neue Maßstäbe definieren“.)

Nun muss weder der Hersteller noch der Händler Ahnung von Bildmontagen haben. Man darf sich ja durchaus auf seinen Kernbereich Foto beschränken, ohne sich darüber hinaus mit überflüssigen Kenntnissen zu belasten. Aber auch, wenn wir das Machwerk als Foto verstehen, wird es kaum besser. Was soll oder könnte uns denn dieses Bild überhaupt sagen?

Ein Elternteil – männlich, weiblich oder divers? – steht mit einem Kleinkind an der Hand bei kühlem Wetter auf einem Steg am Rande eines Sees; gemeinsam betrachten sie verwundert, wie eine mit Wachstumshormonen aus der Rinderzucht zwangsbehandelte Produktpalette von Objektiven und Kameras wahlweise

• über den Wassern schwebt, was irgendwie an ein gewisses Ereignis am See Genezareth erinnert,
• gerade glorreich aus den Fluten auftaucht wie König Artus’ Schwert Excalibur (wobei es dann verwundert, warum das Zeug nicht nass ist und kein Wasser aus den Kamerabodies läuft,
• oder schließlich exakt der Moment getroffen wurde, an dem das alles gerade in der Tiefe versenkt wird, weil es keiner haben wollte, was nicht für ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein spräche.

Je nachdem kann man sich dann die Gedanken der beiden Betrachter ausmalen.

So viel zur rätselhaften Bedeutungsebene. Vielleicht bin ich aber auch nur zu blöd oder durch meine kunstwissenschaftlich-ikonographische Praxis vorbelastet, um das Bild richtig zu verstehen. Also lassen wir diese Ebene mal unberücksichtigt und schauen lediglich aufs Formale:

Erstens sind die Dinger viel zu groß; die Kameras haben etwa Kofferformat, die Objektive reichen an die Größe von Mülltonnen heran.
Zweitens stimmt die Perspektive nicht: Der Horizont liegt knapp über der hinteren Uferlinie – die Objektivöffnungen dagegen sind schräg von oben gesehen.
Drittens sind die Spiegelungen völlig daneben – sie stimmen perspektivisch nicht, werden nicht durch die Wellen verzerrt und verschwinden schnell in Transparenz.
Viertens stimmt die Beleuchtung der Produkte nicht mit der der Szene überein: die beiden Personen werfen einen diffusen Schlagschatten in Richtung des Betrachters – dagegen gibt es Glanzlichter von einer imaginären Lichtquelle schräg rechts.

Um wenigstens einen einzigen Aspekt zu nennen, der nicht völlig falsch ist: die vordere Reihe der Kamerabodies sowie die hintere wurden bei der Spiegelung getrennt behandelt – noch „schöner“ wäre es allerdings gewesen, wären die falschen Reflexionen aus beiden Reihen zusammen abgeleitet worden.
Von dieser Ausnahme abgesehen bleibt nur das vernichtende Urteil, dass hier alles falsch gemacht wurde, was man bei einer Montage falsch machen kann.

Nikolas Felter kommentiert seine Einsendung mit den Worten: „ … als regelmäßiger Leser möchte ich der Kategorie auch mal ein paar Beispiele beisteuern.
Hier wird sich so offensichtlich und schmerzbefreit gar keine Mühe gegeben, dass ich mich frage, ob der Anspruch „wirklichkeitsgetreue Abbildung“ in der (Werbe-) Welt überhaupt noch gegeben ist bzw. jemals war (und Euer Kampf für das Gute und Schöne überhaupt Sinn macht).
Vielleicht würde es sich ja mal lohnen, über Alternativen nachzudenken: Bildnerische Lösungen, die die Fallen im Composing umgehen. Bei Freistellungen habe ich das z.B. schon als bewusste weiße Ganzkörper-Außenkontur gesehen. Wirkte gewollt und hatte einen gewissen grafischen Look.
Ansonsten die aggressive Variante: Ein Preis für die schlechteste Werbung, öffentlich an den Pranger gestellt. Aber vielleicht sind Pranger auch die falsche Perspektive.“

Was den letzten Punkt betrifft: Gibt’s doch! Den Bad-Pixel-Award, den wir immer parallel zum DOCMA Award vergeben (derzeit Corona-bedingt ausgesetzt). Aber leider ist das wie ein Kampf gegen Windmühlen. Auch nach 20 Jahren gibt es trotz aller Aufklärungsbemühungen noch immer solche Montagen wie diese hier; dass keiner der mit diesem Award „Geehrten“ jemals zu einer „Preisverleihung“ erschienen ist, muss kaum erwähnt werden.

Der Untergang der Fotoindustrie
Montage aus einem Kieler Edeka-Prospekt –
auch hier hat man’s nicht so mit Perspektive und Beleuchtung

Dass Nikon und Calumet mit solchen Machwerken nicht allein sind, belegen weitere Beispiele, die uns Nikolas Felter aus dem Prospekt eines Kieler Edeka-Marktes geschickt hat. Wir belassen es hier bei einem, die anderen weisen dieselben Fehler auf.
Es sind immer dieselben, vor allem Perspektive und Beleuchtung. Brot, Margarine und Fleisch schweben beziehungslos über Tisch und Stoff. Ihre Fluchtpunkte liegen sonstwo (bei den Töpfchen passen sie zufällig halbwegs). Und Schlagschatten sucht man vergebens.

Ja, ja, ich weiß, die armen, schlecht bezahlten, unter Zeitdruck arbeitenden Bildmonteure, die irgendwelches nicht zueinander passendes Ausgangsmaterial auf den Rechner geknallt kriegen und dann was daraus zusammenstückeln sollen. Aber ein Minimum an Eingriffen hätte aus dem verfügbaren Material ein zumindest einigermaßen akzeptables Ergebnis gemacht, und das hätte etwa eine Minute länger gedauert.

Schauen Sie sich die beiden folgenden Abbildungen an: Offensichtlich waren Brot, Margarinetöpfe und Fleisch ja ohnehin bereits freigestellt, das entfällt also als zusätzlicher Arbeitsschritt. Es hätte daher nur wenige Augenblicke gedauert, die Tischplatte ein wenig vertikal zu skalieren, damit ihre Perspektive einigermaßen mit der der Lebensmittel übereinstimmt. (Da ich das alles für diese Demonstration nachträglich manuell freistellen musste, habe ich darauf verzichtet, das Tischtuch auch noch anzupassen.)

Der Untergang der Fotoindustrie
Das Skalieren der Tiefe der Tischplatte lässt ihre Perspektive besser zu der der Lebensmittel passen; schon Photoshops simpler Ebenenstil „Schlagschatten“ hilft dabei, die Objekte etwas besser in die Szene zu integrieren.

Die fehlenden Schatten hätten sich näherungsweise sogar mit Photoshops Ebenenstil „Schlagschatten“ erzeugen lassen. So sind sie zwar immer noch falsch – vor allem an den linken Rändern der Objekte –, aber sie schweben jetzt wenigstens nicht mehr beziehungslos über dem Tisch. Natürlich müssten Brotlaib und Töpfchen eigentlich viel längere Schatten werfen als die Brotschreiben.

Der Ebenenstil „Schlagschatten“ hat links von den Objekten ebenfalls – hier unpassende – Schatten gesetzt. Rendern Sie den Effekt als neue Ebene, können Sie diese dort wegradieren. So ist, mit geringem Arbeitsaufwand, zwar alles noch immer nicht stimmig, aber es fällt jedenfalls nicht mehr sofort ins Auge.

Und wenn man es noch ein wenig besser machen will (unteres Bild), rendert man die Schatten als neue Ebene und radiert sie entlang der linken Objektkonturen weg (mehr dazu in der übernächsten DOCMA). Wie gesagt, das ist ein Aufwand von rund einer Minute – das Ergebnis jedoch ist um Klassen ansehnlicher.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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5 Kommentare

    1. Tut mir leid, aber ich kann diesen angeblichen Tippfehler nirgendwo in meinem Text entdecken. (Und es kann auch nicht sein, dass ihn inzwischen jemand verbessert hat, weil es so schon in meinem Word-Text richtig steht.)

      1. Dritter Absatz im Text:
        „Wie immer in solchen Fällen gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie haben’s nicht gesehen, weil sie es nicht besser wissen und keine Ahnung von Bilder haben – oder es erschien ihnen als nicht so wichtig: “
        Da wär der viel geschmähte Dativ (hier: „Bildern“) mal in Ordnung 😉

        1. Jetzt hat sich’s geklärt! Sie hatten seinerzeit geschrieben „keine Ahung“ – daher hatte ich das fehlende „n“ in Ahnung gesucht (und nicht gefunden) und daher auf das – tatsächlich – fehlende „n“ hinter „Bilder“ gar nicht mehr geachtet. Und dieses habe ich in der Tat übersehen.
          Ja, so leicht geht’s mit dem Sich-vertippen – autsch!

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