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Inspiration Leica Akademie

Inspiration Leica Akademie
Foto: Ivo von Renner

Von Sachbüchern erhofft sich der Leser Antworten auf konkrete Fragen, und in dieser Reihe befragt Michael J. Hußmann Fachbücher darauf, welche Antworten sie geben können. „Inspiration Leica Akademie“ illustriert eine Vielzahl fotografischer Themen, Stile und Techniken mit Bildern von Fotografen der Leica Akademie.

Der Markenname Leica hat für viele Fotografen einen besonderen Klang. Man assoziiert damit eine gehobene Bildqualität, die scheinbar aus der Zeit gefalle­ne opto­mechanische Messsucher-Technologie – und hohe Preise. „Inspiration Leica Akademie“ von Heidi und Robert Mertens versucht aber nicht, den Leica-Mythos weiterzuspinnen. Dass nicht die eingesetzte fotografische Ausrüstung im Blickpunkt steht, erkennen Sie schon daran, dass bei keinem der vorgestellten Fotos vermerkt ist, mit welcher
Kamera und welchem Objektiv es entstanden ist. Leica produziert ja nicht nur die Messsucherkamera der M-Reihe, die man meist mit dem Firmennamen in Verbindung bringt, sondern auch DSLRs und spiegellose Systemkameras, mit Bildformaten von APS-C bis zum Mittelformat. Von den Foto­grafen der Leica-Akademien können sich auch Leser inspirieren lassen, die eine andere Marke bevorzugen.

Heidi und Robert Mertens haben unter den Bildern von 76 Fotografen aus aller Welt eine Auswahl getroffen, die eine Vielzahl von Themen abdeckt, gegliedert nach den Katego­rien Wahrnehmung, Persönlichkeit, Kreativität, Ideen, Komposition, Licht, Technik und Konzepte. Zusammen mit den Texten der beiden Autoren ist so, noch über einen inspi­rier­en­den Bildband hinaus, eine Leica Akademie eigener Art entstanden. Was für Erkenntnisse vermittelt diese dem Leser? Wir befragen das Buch, und es antwortet mit der Stimme seiner Verfasser.

Welche Bedeutung haben Nebenschauplätze?

Jedes einzelne Detail ist ein wichtiger Baustein für die Geschichte in einem Bild. Selbst unscheinbare Dinge im Hintergrund können eine entscheidende Rolle spielen. Umso wichtiger ist es daher, eine erhöhte Aufmerksamkeit auf diese „Nebenschauplätze“ zu legen. Fragen Sie sich, welche Elemente relevant sind, wie Sie diese optimal in ein Bild integrieren können oder was Sie vor der Aufnahme entfernen sollten. Planen Sie Ihr Bild sorgfältig und beachten Sie die Bedeutung von Details für dessen erzählerische Tiefe.

Zahlreiche Schauplätze in verschiedenen Ebenen lassen
sich in der oben abgebildeten Aufnahme des deutschen Fotografen Ivo von Renner finden. Im Mittelpunkt die junge Frau, im Hintergrund der Taxifahrer und (haben Sie ihn entdeckt?) ein junger Mann hinter dem geöffneten Fenster. Jede dieser Ebenen verändert unsere Sicht auf die Szene und lässt dabei immer wieder eine neue Geschichte entstehen. Die Arbeit mit solchen Bedeutungsebenen kann großen Spaß bereiten und hilft, mit Bildern vielschichtige Geschichten zu erzählen.

Inspiration Leica Akademie
1) Der Hund hatte sich ungeplant ins Bild gemogelt. | Foto: Panagiotis Katsos

Lassen sich Störquellen in ein Bild integrieren?

Bilder, die nicht das zeigen, was Betrachter erwarten, irritieren und geben Rätsel auf. Eine solche Irritation kann beispielsweise dadurch entstehen, dass ein Störelement im Bild sichtbar wird, das dort eigentlich nicht hingehört. Zum Beispiel ein neugieriger Hund, der sich bei einem Fashion-Shooting noch schnell in das Bild des griechischen Fotografen Panagiotis Katsos geschlichen hat, um das Objektiv zu beschnuppern [1]. Solche Störungen entstehen oft nur für einen kurzen Moment und wir sollten lernen, das Besondere darin zu erkennen. Nicht immer führen Störquellen gleich zu phantastischen Bildern; oft sind es nur Bilder für den Papierkorb. Störquellen können uns aber alternative Möglichkeiten aufzeigen und zu einer Richtungsänderung in unserem Denken führen. Vorausgesetzt, wir erkennen die kreativen Chancen, die sie uns bieten.

Inspiration Leica Akademie
2) Die Ernte, auf Augenhöhe mit den Feldarbeitern fotografiert | Foto: Alessandro Cinque

Wie kann ich eingefahrene Sichtweisen ändern?

Damit Sie nicht Gefahr laufen, dass sich Ihre Bilder im Laufe der Zeit wiederholen und Sie in Ihrer fotografischen Entwicklung stagnieren, sollten Sie einen kreativen Rollenwechsel starten, um die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Entscheidend ist, sich in eine andere Person hineinzuversetzen. Also nicht einfach nur deren Perspektive auf die Welt zu übernehmen, sondern zu verstehen versuchen, wie jemand denkt und fühlt. Das erweitert den eigenen Blick und eröffnet neue Sicht- und Denkweisen. Dem italienischen Fotografen Alessandro Cinque ist das mit seiner Aufnahme von Erntearbeitern [2] gelungen. Wir sehen die Anstrengungen dieser Arbeit aus deren Sicht und erhalten so einen differenzierten Zugang zu ihrer Welt.

Inspiration Leica Akademie
3) Tag und Nacht sind hier zu einem Bild verschmolzen. | Foto: Thomas Biasotto

Was ist Hyperrealität?

Was Sie hier sehen, ist so nicht sichtbar [3]. Der Schweizer Fotograf Thomas Biasotto hat drei Aufnahmen zu einem neuen Bild zusammengesetzt. Sie entstanden an einem realen Ort, dem Hotel Belvédère am Furkapass im schweizerischen Wallis, den er zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten fotografiert hat. Durch die Kombination mehrerer Belichtungen ist das Bild einer neuen Wirklichkeit entstanden, die mehr an einen Ort unserer Phantasie erinnert als an die Realität. Angesichts solcher Bilder fragt man sich, ob es vielleicht noch viel mehr zu sehen gibt als das, was wir mit unseren Augen erfassen.

Heidi Mertens, Robert Mertens:
Inspiration Leica Akademie
Rheinwerk Verlag, 2020
343 Seiten, gebunden
49,90 Euro
www.rheinwerk-verlag.de/4880

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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